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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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direkt über der Herde geifernder Organschweine wäre. Es gibt ein kleines Fenster im Bad, ganz oben, aber auch das ist auf der Seite der Organschweine.

    Nach drei Stunden mühseliger Arbeit und mit Hilfe von – anfangs –
    einem Küchenhocker, einem Korkenzieher und einem Essmesser, und –
    zu guter Letzt – einem Hammer und einem Akkuschrauber, den er ganz hinten im Abstellraum gefunden hat, gelingt es ihm, die Notlüftung auseinander zu nehmen und die eingebaute Mechanik zu lösen. Der Lüftungsschacht geht nach oben wie ein Schornstein, dann kommt eine Biegung seitwärts. Er glaubt, dass er dünn genug ist, da durchzukommen – halb verhungert zu sein hat auch seine Vorteile –, obwohl er einen schmerzhaften und auch lachhaften Tod sterben wird, wenn er stecken bleibt. In einem Lüftungsschacht gekocht, sehr witzig.
    Er bindet ein Ende seines improvisierten Stricks an ein Bein des Küchentischs – glücklicherweise ist der im Boden verschraubt – und wickelt sich den Rest um die Taille. Er bindet seinen Vorratssack an das Ende eines zweiten Stricks. Er hält den Atem an, quetscht sich rein, verdreht den Körper, zappelt. Zum Glück ist er keine Frau, der breite Po würde ihm zum Verhängnis werden. Kein Platz zu verschenken, aber jetzt ist der Kopf in der Luft draußen, dann – mit einem Dreher – die Schultern. Es geht zweieinhalb Meter senkrecht runter zum Schutzwall.
    Er wird mit dem Kopf zuerst fallen und hofft, dass der improvisierte Strick halten wird.
    Ein letztes Abstoßen, ein Ruck, als es ihn zurückreißt, und schon baumelt er schief vor der Wand. Er greift nach dem Strick, bringt sich in eine aufrechte Stellung, knüpft das Ende, das um seine Taille geschlungen ist, los und lässt sich langsam übergreifend hinunter. Dann zieht er den Vorratssack durch. So weit, so gut.
    Verdammt. Er hat vergessen, das Sprechfunkgerät mitzubringen. Tja, zurück kann er nicht.
    Der Schutzwall ist ein Meter achtzig breit, mit einer Mauer auf jeder Seite. Alle drei Meter befinden sich zwei Schlitze, nicht einander gegenüber, sondern versetzt, zur Beobachtung gedacht, aber auch nützlich, um Waffen für ein letztes Gefecht in Stellung zu bringen. Der Schutzwall ist sechs Meter hoch – über acht Meter, wenn man die Mauern mitrechnet. Er läuft um den gesamten Komplex herum, in gewissen Abständen unterbrochen von Wachtürmen wie dem, den er gerade hinter sich gelassen hat.
    Der Komplex hat die Form eines Rechtecks und besitzt fünf weitere Tore. Er kennt den Plan, denn er hat ihn gründlich studiert während seiner Tage in Paradice – dem Bereich, zu dem er jetzt unterwegs ist. Er kann die Kuppel sehen, die sich über den Bäumen erhebt und wie ein Halbmond schimmert. Sein Plan ist, alles, was er braucht, dort herauszuholen, dann wieder über den Schutzwall zurückzukommen –
    oder, wenn die richtigen Voraussetzungen gegeben sind, kann er auch zu ebener Erde quer durch den Komplex gehen – und durch ein Seitentor hinaus.
    Die Sonne steht bereits hoch. Er muss sich beeilen oder er wird gebraten. Er würde sich gerne den Organschweinen zeigen, sie verhöhnen, aber er lässt es lieber: Sie würden ihm den Schutzwall entlang folgen und ihn am Abstieg hindern. Also kriecht er jedes Mal, wenn er an einen Beobachtungsschlitz kommt, um außer Sicht zu bleiben.

    Am dritten Wachturm hält er inne. Über der Kante des Schutzwalls kann er etwas Weißes sehen – grau-weiß und wolkenartig –, aber es ist zu niedrig, um eine Wolke zu sein. Es hat auch die falsche Form. Es ist dünn, wie eine schwankende Säule. Es muss nahe der Küste sein, ein paar Meilen nördlich des Craker-Lagers. Zuerst hält er es für Nebel, aber Nebel steigt nicht so vereinzelt auf wie dort. Keine Frage, es ist Rauch.
    Die Craker haben oft ein Feuer, aber nie ein großes, es würde nicht so viel Rauch wie dieses verursachen. Es könnte eine Folge des gestrigen Sturms sein, ein durch Blitzschlag verursachtes Feuer, das durch den Regen gedämpft wurde und nun wieder zu schwelen begonnen hat. Oder es könnte sein, dass sich die Craker den Anweisungen widersetzt, sich auf die Suche nach ihm gemacht und ein Signalfeuer entfacht haben, um ihn nach Hause zu leiten. Das ist unwahrscheinlich – es entspricht nicht ihrer Art zu denken – aber falls doch, sind sie weit vom Kurs abgekommen.
    Er isst einen halben Kraftriegel, kippt etwas Wasser hinterher, setzt seinen Weg über den Schutzwall fort. Inzwischen hinkt er ein bisschen, ist sich seines

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