Oryx und Crake
Treppe hinauf, dass er über sein geblümtes Laken stolpert. Hinter ihm ertönt aufgeregtes Grunzen und Quieken und dann ein lautes Krachen, als der Schreibtisch umstürzt.
Er kommt in einem hellen, länglichen Raum an. Was ist das? Der Wachturm. Natürlich. Das hätte er wissen müssen. Es gibt auf jeder Seite des Haupttors einen Wachturm und weitere Türme entlang des gesamten Schutzwalls. In den Wachtürmen befinden sich Suchscheinwerfer, die Überwachungsvideokameras, die Lautsprecher, die Mechanismen, um die Tore zu schließen, die Tränengasdüsen, weitreichende Energiegewehre. Ah ja, hier sind die Bildschirme, hier ist die Bedienung: Ziel ausmachen, anvisieren, Knopf drücken. Man musste sich die eigentlichen Resultate nie anschauen, das Triefen und Brutzeln, nicht am lebenden Objekt. Während der Chaospenode feuerten die Posten wahrscheinlich von hier oben in die Menge, solange sie konnten und solange es noch eine Menge gab.
Nichts von diesem Hightechzeug funktioniert jetzt, natürlich nicht. Er sucht nach einer manuell bedienbaren Reserve – es wäre schön, in der Lage zu sein, die Organschweine von hier oben niederzumähen –, aber nein, es ist nichts da.
Neben der Wand von toten Bildschirmen befindet sich ein kleines Fenster: Von hier kann er die Organschweine aus der Vogelperspektive sehen, die Gruppe, die draußen vor der Tür des Torhauses steht. Sie sehen entspannt aus. Wenn es Menschen wären, würden sie eine rauchen und quatschen. Allerdings wachsam; auf der Lauer. Er zieht sich zurück: Er möchte nicht, dass sie ihn sehen; sehen, dass er hier oben ist.
Nicht, dass sie es nicht schon wüssten. Sie müssen inzwischen herausbekommen haben, dass er die Treppe hochgelaufen ist. Aber wissen sie auch, dass sie ihn in der Falle haben? Denn es gibt hier keinen Weg nach draußen, soweit er sehen kann.
Es besteht keine unmittelbare Gefahr – sie können nicht die Treppe hoch, sonst hätten sie es bereits getan. Er hat Zeit, sich umzuschauen und neu zu formieren. Neu zu formieren, was für ein Gedanke. Er ist ja allein.
Die Posten müssen hier oben Nickerchen gehalten haben, immer abwechselnd. Da stehen ein paar militärische Feldbetten in einem Nebenraum. Niemand liegt da, keine Leichen. Vielleicht haben die Posten auch versucht, aus RejoovenEsense herauszukommen, genau wie alle anderen. Vielleicht hatten auch sie gehofft, der Ansteckung zu entrinnen.
Eines der Betten ist gemacht, das andere nicht. Ein Wecker mit digitaler Stimme blinkt noch neben dem ungemachten Bett. »Wie spät ist es?«, fragt er ihn, aber er bekommt keine Antwort. Er muss das Ding neu programmieren, es auf seine Stimme einstellen.
Die Typen waren gut ausgestattet: ein Zwillings-Unterhaltungszentrum mit angeschlossenen Bildschirmen, Spielern und Kopfhörern. Kleidungsstücke hängen auf Haken, die üblichen Tropenanzüge; ein gebrauchtes Handtuch auf dem Boden, eine Socke.
Ein Dutzend heruntergeladener Bilder lag auf einem der Nachttische.
Ein schmales Mädchen, das nichts als hochhackige Sandalen trug und auf dem Kopf stand; ein blondes Mädchen, das in einer Art Geschirr aus schwarzem Leder von einem Haken an der Decke hing, die Augen verbunden, aber den Mund aufgesperrt mit einem lechzenden Schlag-mich-noch-mal-Ausdruck; eine große Frau mit riesigen Brustimplantaten und glänzend rotem Lippenstift, die sich vornüberbeugte und ihre gepiercte Zunge herausstreckte. Immer dasselbe Zeug.
Die Typen müssen es eilig gehabt haben. Vielleicht sind es die da unten, die in den Bioschutzanzügen. Das wäre einleuchtend. Niemand scheint dagegen hier hochgekommen zu sein, nachdem die beiden gegangen waren; oder falls doch, haben sie nichts gefunden, was sie mitnehmen wollten.
In einer der Nachttischschubladen liegt eine Schachtel Zigaretten, in der erst ein paar fehlen. Schneemensch klopft sich eine heraus – feucht, aber in diesem Moment würde er auch Sägemehl rauchen – und schaut sich nach Feuer um. Er hat Streichhölzer in seinem grünen Müllsack, aber wo ist der? Er muss ihn auf der Treppe fallen gelassen haben in seiner Hast, hier hochzukommen. Er geht ins Treppenhaus, schaut hinunter. Richtig, dort liegt der Sack, auf der vierten Stufe von unten. Er macht sich vorsichtig auf den Weg nach unten. Als er seine Hand ausstreckt, schnellt etwas auf ihn zu. Er springt zurück, außer Reichweite, während das Organschwein zurückschlittert und sich dann wieder nach oben wirft. Seine Augen glänzen im Halbdunkel; er hat den
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