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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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verändert, zu unverhohlen. Zu viel Lüsternheit und Lidschatten, zu viel kuhartige Zunge. Es ist Unbehagen, was er empfindet, nicht Lust.
    Korrektur: unbehagliche Lust.
    »Wie konntest du nur«, murmelt er vor sich hin, nicht zum ersten Mal, als er sich im Kopf mit einer Mietschlampe paart, die mit rotem BH aus chinesischer Seide und fünfzehn Zentimeter hohen Absätzen ausgestattet ist und einen Drachen auf den Hintern tätowiert hat.
    Oh Süßer.

    In dem kleinen heißen Zimmer träumt er; wieder einmal geht es um seine Mutter. Nein, er träumt nie von seiner Mutter, nur von ihrer Abwesenheit. Er ist in der Küche. Wusch, macht der Wind in seinem Ohr, eine Tür fällt zu. An einem Haken hängt ihr Morgenmantel, magentafarben, leer, Furcht erregend.
    Er wacht mit laut pochendem Herzen auf. Er erinnert sich jetzt, dass er ihn angezogen hatte, nachdem sie verschwunden war, diesen Morgenmantel. Er roch noch nach ihr, nach dem jasminartigen Parfüm, das sie immer auflegte. Er hatte sich selbst im Spiegel angeschaut, sein Knabenkopf mit seinem einstudiert lässigen Fischaugenblick auf einem Hals, der in den Stofffalten mit ihrem weiblichem Farbton verschwand.
    Wie er sie in dem Moment gehasst hatte. Er konnte kaum atmen, er war fast erstickt an seinem Hass, Hasstränen rollten ihm die Wangen herunter. Aber er hatte sich trotzdem in die eigenen Armen genommen.
    Ihre Arme.
    Er hat den Wecker der stimmaktivierten Digitaluhr auf eine halbe Stunde vor Morgengrauen gestellt, nachdem er geschätzt hatte, wann das sein musste. »Zeit zum Aufstehen«, sagte die Uhr in einer verführerischen Frauenstimme. »Zeit zum Aufstehen. Zeit zum Aufstehen.«
    »Hör auf«, sagt er, und es hört auf.
    »Möchtest du Musik?«
    »Nein«, sagt er, denn auch wenn er versucht ist, im Bett liegen zu bleiben und sich mit der Frau in der Uhr auszutauschen – es wäre fast wie eine Unterhaltung –, muss er heute früh in Gang kommen. Wie lang ist er nun schon von der Küste weg, von den Crakern? Er zählt es an den Fingern ab: Tag eins, die Wanderung Richtung RejoovenEsense, die Windhose; Tag zwei, den Organschweinen in die Falle gegangen. Dies muss also der dritte Tag sein.

    Draußen vor dem Fenster herrscht ein mausgraues Licht. Er pinkelt in die Küchenspüle, spritzt sich Wasser aus dem Toilettentank ins Gesicht.
    Er hätte das Zeug gestern nicht trinken sollen, ohne es abzukochen. Er kocht jetzt einen Topf voll ab – es ist immer noch Gas da für den Propanbrenner – und wäscht seinen Fuß, ein bisschen rot um die Schnittwunde herum aber nichts, worüber man ausrasten müsste, und macht sich eine Tasse Pulverkaffee mit viel Zucker und Kaffeeweißer.
    Er kaut einen Dreifrüchte-Kraftriegel durch, genießt dabei den vertrauten Geschmack von Bananenöl und gesüßter Glasur und fühlt Energie in sich einströmen.
    Irgendwo hat er gestern während des Herumlaufens seine Wasserflasche verloren, was auch nicht so schlimm ist, wenn man bedenkt, was da drin war. Vogelmist, Moskitolarven, Nematoden. Er füllt eine leere Bierflasche mit abgekochtem Wasser, dann nimmt er einen Militärwäschebeutel aus Mikrofaser aus dem Schlafzimmer und steckt sein Wasser, alles, was er an Zucker finden kann, und das halbe Dutzend Kraftriegel hinein. Er schmiert sich mit Sonnenschutz ein, nimmt die Tube mit und zieht sich ein leichtes Khakihemd an. Er findet auch eine Sonnenbrille, also wirft er seine alte weg , die nur ein Glas hat.
    Er überlegt, ob er die Shorts anziehen soll, aber sie sind ihm zu weit und würden die Rückseite seiner Beine nicht schützen, also bleibt er bei seinem geblümten Laken, legt es doppelt und knotet es wie einen Sarong. Nachdem er noch mal überlegt hat, nimmt er es ab und packt es in den Wäschesack: Es könnte sich an irgendetwas verhaken, während er unterwegs ist, und er kann es ja später wieder anziehen. Er ersetzt sein verloren gegangenes Aspirin und die Kerzen und wirft noch sechs kleine Streichholzschachteln und ein Obstmesser und seine echt-raubkopierte Red-Sox-Baseballmütze hinein. Er würde nicht wollen, dass ihm die während der Flucht herunterfällt.
    So. Nicht zu schwer. Jetzt der Ausbruch.

    Er versucht, das Küchenfenster einzuschlagen – er könnte sich mit einem in Streifen gerissenen und verdrehten Bettlaken auf den Schutzwall des Komplexes abseilen – aber ohne Erfolg: Das ist Panzerglas. Das schmale Fenster, das auf die Toreinfahrt geht, kommt nicht in Frage, weil es, selbst wenn er da durchpassen würde,

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