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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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als Haustier.
    Wie hat sein Vater ausgesehen? Schneemensch gelingt es nicht, sein Gesicht heraufzubeschwören. Jimmys Mutter ist als deutliches Bild erhalten, in Farbe, mit einem Rahmen aus weißem Hochglanzpapier, wie ein Polaroidfoto, aber von seinem Vater sind ihm nur Details in Erinnerung: der Adamsapfel, der sich beim Schlucken hebt und senkt, die durch das Küchenfenster von hinten beleuchteten Ohren, die linke Hand auf dem Tisch, abgeschnitten von der Manschette des Hemds.
    Sein Vater ist ein Pasticcio. Vielleicht konnte Jimmy nie weit genug von ihm wegkommen, um sämtliche Teile auf einmal zu sehen.
    Der Anlass des Geschenks muss sein Geburtstag gewesen sein.
    Er hat seine Geburtstage verdrängt: Sie waren kein Grund für besondere Feiern, nicht nach dem Fortgang von Dolores, dem philippinischen Kindermädchen. Sie hatte immer an seinen Geburtstag gedacht; sie hatte einen Kuchen gebacken oder vielleicht auch gekauft, auf jeden Fall war einer da, ein echter Kuchen mit Zuckerguss und Kerzen – stimmt’s etwa nicht? Er klammert sich an die Realität dieser Kuchen; er schließt die Augen, beschwört sie herauf, lässt sie alle in einer Reihe schweben, mit brennenden Kerzen, und ihren süßen, tröstlichen Vanilleduft verströmen, wie Dolores selbst.
    Seine Mutter dagegen konnte sich offenbar nie erinnern, wie alt Jimmy war oder an welchem Tag er geboren war. Er musste sie beim Frühstück daran erinnern; dann erwachte sie aus ihrer Trance und kaufte ihm irgendein demütigendes Geschenk – einen Kleinkinderpyjama mit Kängurus oder Bären darauf, eine CD, die keiner unter vierzig je hören würde, Unterwäsche, die mit Walfischen verziert war –, wickelte es in Seidenpapier ein und warf es ihm beim Abendessen hin, und dazu lächelte sie ihr Lächeln, das immer sonderbarer wurde, als hätte jemand sie angeschrien: Lächeln!, und mit einer Gabel in den Hintern gestochen.
    Dann unterzog sein Vater sie alle seiner verlegenen Rechtfertigung, weshalb dieses wirklich ganz, ganz besondere und wichtige Datum irgendwie einfach seinem Gedächtnis entfallen war, fragte Jimmy, ob mit ihm alles in Ordnung sei, und schickte ihm eine elektronische Geburtstagskarte – das Organlnc-Standardmodell, bestehend aus fünf geflügelten Schweinen in einer Reihe, die einen Conga aufführten, und dem Text Happy Birthday Jimmy! Mögen alle deine Träume in Erfüllung gehen! –, und am Tag danach kam er mit einem Geschenk an, das eigentlich kein Geschenk war, sondern ein Werkzeug oder ein Intelligenz förderndes Spiel oder eine andere unausgesprochene Aufforderung, den Erwartungen gerecht zu werden. Welchen Erwartungen? Es gab nirgends eine Norm, an der man sich orientieren konnte; oder vielleicht gab es eine, aber sie war so nebelhaft und riesig, dass keiner sie erkennen konnte, Jimmy am wenigsten. Was er zu Stande brachte, war nie der richtige Einfall, nie gut genug. Nach dem Mathe-Chemie-angewandte-Biologie-Maßstab von Organlnc muss er als unterer Durchschnitt gegolten haben. Vielleicht war das der Grund, weshalb sein Vater irgendwann aufhörte, ihm zu sagen, er könnte viel mehr schaffen, wenn er sich nur ein bisschen anstrengte, und stattdessen zu einem insgeheim enttäuschten Lob überging: als hätte Jimmy einen Hirnschaden.
    Schneemensch weiß also nichts mehr von Jimmys zehntem Geburtstag, bis auf das Wakunk, das sein Vater in einem Tragekäfig nach Hause brachte. Es war winzig, das Kleinste aus dem Wurf der zweiten Wakunk-Generation, der Nachkommen des ersten gentechnisch erzeugten Paars. Fast der gesamte Wurf war auf Anhieb vergeben, und Jimmys Vater erzählte, dass er ziemlich viel Zeit investieren, sein gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen und eine Menge Fäden ziehen musste, um dieses letzte Junge zu ergattern. Aber all die Mühe hatte sich gelohnt für diesen wirklich ganz, ganz besonderen Tag, der, wie üblich, zufällig der Vortag gewesen war.
    Die Wakunks hatten als Freizeithobby eines der hohen Tiere aus dem Organlnc-Biolabor begonnen. Damals war viel herumexperimentiert worden: Ein-Tier-Erschaffen war Spaß, sagten die, die es machten; man kam sich vor wie Gott. Mehrere Ergebnisse mussten vernichtet werden, weil sie allzu gefährliche Zeitgenossen waren – wer brauchte eine Kröte mit einem Greifschwanz wie ein Chamäleon, die durch das Fenster im Bad hereinklettern und einem Gift in die Augen spritzen konnte, während man sich die Zähne putzte? Oder die Schlatte, eine unglückliche Kreuzung von Schlange und

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