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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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frische zu ersetzen: Anstelle der bislang angewandten Oberflächenregeneration, die wegen der Hautausdünnung infolge Laserbehandlung oder Dermabrasion nur eine kurzzeitige Lösung war, suchte man eine echte falten- und fleckenlose Neuhaut. Zu diesem Zweck musste es gelingen, eine junge, pralle Hautstammzelle zu züchten, die in der Haut dessen, dem sie implantiert wurde, die abgenutzten Zellen vernichtete und durch Kopien ihrer selbst ersetzte –
    wie Algen, die auf der Oberfläche eines Tümpels wachsen.
    Der Lohn im Fall des Erfolgs wäre enorm, erklärte Jimmys Vater, der seit einiger Zeit ihm gegenüber die Nummer »klare Worte von Mann zu Mann« abzog. Welcher wohlhabende und nicht-mehr-junge, nicht-mehr-schöne Mensch, egal ob männlich oder weiblich, der sich jetzt noch mit Hormonersatzpräparaten und Vitaminspritzen in Gang hielt, würde nicht sein Haus, seine abgeschirmte Ruhestandsvilla, seine Kinder und seine Seele verkaufen, um im sexuellen Wettlauf ein zweites Mal antreten zu dürfen? NooSkins for Olds behauptete das knackige Logo. In Wahrheit war man von der hieb- und stichfesten Methode leider noch weit entfernt: Das Dutzend verschlissener Hoffnungsvoller, die sich freiwillig als Testpersonen gemeldet hatten, nichts bezahlten, aber mit ihrer Unterschrift auf jeden Schadensersatzanspruch verzichteten, sahen am Ende des Experiments aus wie das Schimmelwesen aus dem All –
    ungleichmäßig grünlich-braun schattiert und sich in zerfransten Streifen häutend.
    Aber NooSkins verfolgte noch andere Projekte. Eines Abends kam Jimmys Vater spät und leicht angetrunken nach Hause, in der Hand eine Flasche Champagner. Jimmy warf einen Blick auf die Szene und entfernte sich. Er hatte ein winziges Mikro hinter dem Seestück im Wohnzimmer versteckt und ein zweites hinter der Uhr in der Küche –
    einer Uhr, die jede volle Stunde mit einem anderen, irritierenden Vogelruf verkündete –, um Gespräche, die ihn nichts angingen, mithören zu können. Seine Wanzen hatte er in der Schule gebastelt, im Fach Neotechnologie: Zusammengesetzt aus den Standardbauteilen der Computer-Minimikros, die Sprachbefehle entgegennahmen, taugten sie nach ein paar Umbauten ausgezeichnet für Lauschangriffe.
    »Was soll das?«, fragte die Stimme von Jimmys Mutter. Sie meinte den Champagner.
    »Wir haben’s geschafft«, sagte die Stimme von Jimmys Vater. »Ich finde, das muss gefeiert werden.« Ringkampfgeräusche; vielleicht hatte er versucht sie zu küssen.
    »Was geschafft?«
    Das Ploppen des Champagner-Korkens. »Komm schon, das beißt dich nicht.« Eine Pause: Offensichtlich schenkte er ein. Ja: das Klirren von Gläsern. »Auf uns.«
    »Was geschafft? Ich möchte schließlich wissen, worauf ich trinke.«
    Wieder eine Pause: Jimmy stellte sich das Schlucken seines Vaters vor, den Adamsapfel, der sich auf und ab bewegte. »Das Neuroregenerationsprojekt. In einem Organschwein wächst jetzt echtes menschliches Neokortex-Gewebe. Endlich, nach lauter Blindgängern!
    Stell dir vor, was für Möglichkeiten, für Hirnschlagpatienten und…«
    »Ja, genau das brauchen wir«, sagte Jimmys Mutter. »Noch mehr Leute mit Schweinehirnen. Weil wir noch nicht genug davon haben!«
    »Kannst du nicht ein Mal positiv sein, nur ein einziges Mal? Immer dieses negative Zeug, dies ist nicht gut und das ist nicht gut, in deinen Augen ist nie irgendwas gut genug!«
    »Was soll daran positiv sein? Dass euch wieder eine neue Möglichkeit eingefallen ist, um einen Haufen Verzweifelter abzuzocken?«, sagte Jimmys Mutter mit dieser neuen, langsamen, zornfreien Stimme.
    »Gott, bist du zynisch!«
    »Nein, du bist zynisch. Du und deine schlauen Partner. Deine Kollegen. Es ist falsch, die ganze Organisation ist falsch, es ist eine moralische Jauchegrube, und das weißt du.«
    »Wir können Menschen Hoffnung geben. Hoffnung ist kein Abzocken!«
    »Doch, bei den Preisen, die NooSkin verlangt, ist es das sehr wohl! Ihr hypt eure Sachen auf, lasst die Leute blechen, bis sie pleite sind, und dann ist Schluss mit der Behandlung. Euretwegen können sie verrotten.
    Hast du vergessen, wie wir früher geredet haben, hast du vergessen, was wir alles vorhatten? Wir wollten das Leben verbessern, für alle, nicht nur für die Reichen. Du warst so… du hattest Ideale, früher.«

    »Klar«, sagte Jimmys Vater müde. »Ich hab sie immer noch. Ich kann sie mir nur nicht mehr leisten.«
    Eine Pause. Offenbar dachte Jimmys Mutter über seine Bemerkung nach. »Wie dem auch sei«,

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