Oryx und Crake
argwöhnisch gegen jeden, führten mit Begeisterung Leibesvisitationen durch, vor allem bei Frauen. Das macht sie an, sagte sie.
Jimmys Vater warf ihr vor, sie mache aus jeder Mücke einen Elefanten. Außerdem, sagte er, habe es wenige Wochen vor ihrem Einzug einen Zwischenfall gegeben, das Attentat einer Fanatikerin mit einer als Haarspray getarnten feindlichen Bioform. Irgendeine Ebola-oder Marburg-Variante, eine verschärfte Form des Hämorrhagie-Erregers. Sie hatte einen Wächter damit infiziert, der wegen der Hitze leichtsinnigerweise seine Maske nicht getragen hatte, entgegen den Anweisungen. Die Frau war auf der Stelle niedergeschossen und in einem Fass Bleichlauge neutralisiert worden, und den armen Wächter hatte man schnell in HeißBioform verschwinden lassen, wo er sich in der Isolationskammer zu einer Pfütze Restflüssigkeit auflöste. Es war kein größerer Schaden entstanden, aber natürlich waren die Wächter jetzt nervös.
Jimmys Mutter sagte, das ändere nichts daran, dass sie sich wie eine Gefangene vorkomme. Jimmys Vater sagte, ihr sei anscheinend der Ernst der Lage nicht klar. Ob ihre Sicherheit, die Sicherheit ihres Sohnes nicht wichtiger sei?
»Es ist also zu meinem Besten?«, sagte sie. Sie war damit beschäftigt, in Zeitlupentempo eine Toastscheibe in lauter gleichmäßige Würfel zu schneiden.
»Zu unserem Besten. Für uns.«
»Zufällig bin ich anderer Meinung.«
»Das ist ja nichts Neues«, sagte Jimmys Vater.
Sie war überzeugt, dass ihre Telefonate und E-Mails überwacht wurden und die stämmigen, wortkargen HelthWyzer-Reinigungskräfte, die zweimal wöchentlich kamen – immer paarweise –, Spione waren.
Jimmys Vater sagte, sie würde allmählich paranoid, und außerdem hätten sie nichts zu verbergen, wozu also die Aufregung.
Der HelthWyzer-Komplex war nicht nur neuer als die OrganInc-Anlage, sondern auch größer. Es gab hier nicht ein, sondern zwei Einkaufszentren, ein besseres Krankenhaus, drei Tanzlokale, sogar einen eigenen Golfclub. Jimmy besuchte die HelthWyzer-Public School, an der er zuerst niemanden kannte. Das war aber nicht so schlimm, trotz anfänglicher Einsamkeit. Eigentlich war es sogar ganz gut, denn bei den neuen Kindern konnte er seine alten Witze und Tricks wieder ausgraben, mit denen er in der Organlnc-Schule nicht mehr gut angekommen war. Nach der Schimpansen-Nummer hatte er jetzt ein neues Programm auf Lager: Erbrechen und Ersticken, beides sehr beliebt, außerdem eine Pantomime, bei der er ein nacktes Mädchen etwa auf Höhe seines Bauchnabels rittlings auf sich sitzen und wackeln ließ.
Er kam nicht mehr zum Mittagessen nach Hause. Morgens holte ihn der kombinierte Äthanol-Solar-Bus der Schule ab und brachte ihn abends wieder zurück. Es gab eine helle und fröhliche Schulcafeteria mit ausgewogenen Mahlzeiten, internationalen Spezialitäten – Piroggen, Falafel –, einem koscheren Tagesgericht und Sojaprodukten für Vegetarier. Jimmy war so entzückt über das Mittagessen ohne Anwesenheit des einen oder anderen Elternteils, dass er wie auf Wolken schwebte. Er nahm sogar ein bisschen zu und war nicht mehr das magerste Kind in der Klasse. Wenn bis zum Pausenende noch ein bisschen Zeit und auch sonst nichts los war, konnte er in die Bibliothek gehen und sich alte Unterrichts-CD-ROMs ansehen. Sein Favorit war Alex der Papagei aus Klassiker der Tierverhaltensforschung. Sehr gern mochte er die Stelle, wo Alex ein neues Wort erfindet – Korknuss für Mandel –, und am allerliebsten sah er die Stelle, wo Alex von den Übungen mit blauen Dreiecken und gelben Quadraten genug hat und sagt: Ich geh jetzt. – Nein, Alex, du bleibst da! Welches ist das blaue Dreieck – nein, das blaue Dreieck? Aber Alex war schon durch die Tür.
Fünf Sterne für Alex.
Eines Tages durfte Jimmy Killer in die Schule mitbringen, wo sie –
inzwischen war es offiziell ein Weibchen – ein echter Hit war. »Ach, Jimmy, hast du ein Glück«, sagte Wakulla Price, sein allererster Schwarm. Sie streichelte Killers Pelz, braune Hand, rosafarbene Nägel, und Jimmy bekam eine Gänsehaut, als strichen ihre Finger über seinen eigenen Körper.
Jimmys Vater verbrachte immer mehr Zeit bei der Arbeit, redete aber immer weniger darüber. Auch bei NooSkins gab es Organschweine, wie bei Organlnc Farms, sie waren aber kleiner und wurden in der Entwicklung von Biotechnologien zur Hauterneuerung eingesetzt.
Kernstück war die Suche nach einer Methode, die abgenutzte Epidermis durch eine
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