Oryx und Crake
Kopf, obwohl sie sich nicht mit ihm abgab. Hatte er Pickel, war es das? Er erinnert sich nicht; aber er weiß noch, dass es in den Gesichtern seiner Nebenbuhler von Pickeln wimmelte.
Korknuss sagte er zu jedem, der ihm auf die Nerven ging. Zu jedem, der kein Mädchen war. Keiner außer ihm und Alex dem Papagei wusste, was Korknuss eigentlich bedeutete, und deshalb war es ein ziemlich vernichtendes Urteil. Es wurde zum Mode-Schimpfwort unter den Jugendlichen im HelthWyzer-Komplex, und Jimmy galt als mittel-cool.
Hey, Korknuss!
Sein heimlicher bester Freund war Killer. Armselig, dass das einzige Wesen, mit dem er wirklich reden konnte, ein Wakunk war. Seinen Eltern ging er so weit wie möglich aus dem Weg. Sein Dad war eine Korknuss und seine Mutter eine Drohne. Er hatte keine Angst mehr vor ihrem negativen Spannungsfeld, er fand sie beide einfach nur öde; das sagte er sich jedenfalls.
In der Schule inszenierte er einen größeren Verrat an seinen Eltern: Er zeichnete Augen auf die Knöchel beider Zeigefinger und bildete eine Faust um den Daumen. Dann bewegte er die Daumen auf und ab, um darzustellen, wie die Münder sich öffneten und schlossen, und ließ diese beiden Handpuppen miteinander streiten. Die rechte Hand war Böser Dad, die linke Selbstgerechte Mom. Böser Dad schwadronierte und schwafelte und spuckte große Töne, Selbstgerechte Mom nörgelte und klagte an. In der Weltanschauung von Selbstgerechter Mom war Böser Dad die alleinige Ursache von Hämorrhoiden, Kleptomanie, globalen Konflikten, Mundgeruch, tektonischen Grabenbrüchen und verstopften Abflussrohren sowie sämtlichen Anfällen von Migräne und Menstruationsschmerzen, unter denen Selbstgerechte Mom je gelitten hatte. Die tägliche Vorstellung während der Mittagspause wurde zum Hit; Trauben von Mitschülern scharten sich um ihn und baten um Zugaben: Jimmy, Jimmy, mach den Bösen Dad! Die Zuschauer trugen allerlei Variationen und Erweiterungen bei, entliehen aus dem Privatleben ihrer eigenen Elterneinheiten. Manche versuchten es selbst und malten sich Augen auf die Fingerknöchel, aber in den Dialogen war Jimmy unschlagbar.
Manchmal hatte er hinterher ein schlechtes Gewissen, wenn er zu weit gegangen war. Er hätte nicht darstellen dürfen, wie Selbstgerechte Mom in der Küche weinte, weil ihre Eierstöcke geplatzt waren; auch diese Sexszene mit dem Fischstäbchen, 20 Prozent echter Fisch, dem Tagesgericht vom Montag, hätte er nicht veranstalten dürfen – Böser Dad, der über das Fischstäbchen herfällt und es wollüstig zerfetzt, weil Selbstgerechte Mom schmollend in einer leeren Twinkies-Schachtel sitzt und sich weigert, herauszukommen. Solche Sketche waren unter der Gürtellinie, aber das war kein Hinderungsgrund. Leider kamen sie auch einer unbequemen Wahrheit sehr nahe, die Jimmy lieber nicht unter die Lupe nehmen wollte. Doch die anderen stachelten ihn an, und gegen den Beifall war er wehrlos.
»War das geschmacklos, Killer?«, fragte er dann. »War das zu infam?« Infam war ein jüngst entdecktes Wort: Selbstgerechte Mom benutzte es in letzter Zeit sehr oft.
Killer leckte ihm die Nase. Sie verzieh ihm immer.
Eines Tages fand Jimmy, als er von der Schule nach Hause kam, einen zusammengefalteten Zettel auf dem Küchentisch. Er war von seiner Mutter. Schon beim Anblick der Schrift auf der Außenseite – Für Jimmy, zweimal schwarz unterstrichen – wusste er, um welche Art Nachricht es sich handelte.
Lieber Jimmy, stand darin. Bla bla bla, habe mich lange genug mit Schuldgefühlen herumgequält, bla bla, kann nicht länger eine Lebensweise mittragen, die nicht nur als solche sinnlos ist, sondern auch bla bla. Sie wisse, wenn Jimmy alt genug sei, um die Konsequenzen von bla bla zu bedenken, werde er sie verstehen und ihren Entschluss billigen. Sie werde sich später mit ihm in Verbindung setzen, falls dies irgendwie möglich sei. Bla bla werde zwangsläufig eine Suche erfolgen; Untertauchen deshalb unvermeidlich. Sie sei erst nach eingehender Gewissensprüfung, endlosem Nachdenken und unter Seelenqualen zu dieser Entscheidung gelangt, aber bla. Sie werde ihn immer sehr lieben.
Vielleicht hatte sie Jimmy geliebt, denkt Schneemensch. Auf ihre Weise. Damals hatte er ihr jedenfalls nicht geglaubt. Vielleicht hatte sie ihn auch nicht geliebt. Aber irgendein positives Gefühl ihm gegenüber muss sie doch empfunden haben. Musste es nicht so etwas wie Mutterliebe geben?
PS, stand darunter. Ich habe Killer mitgenommen, um sie zu
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