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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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sagte sie – ein Zeichen, dass sie nicht gewillt war, nachzugeben. »Wie dem auch sei, es gibt Forschung und Forschung. Was du da machst – diese Schweinehirngeschichte. Du vergreifst dich an den Bausteinen des Lebens. Das ist unmoralisch. Das ist… ein Sakrileg.«
    Peng, auf dem Tisch. Nicht seine Hand. Die Flasche? »Ich hör wohl nicht richtig! Was sind das denn auf einmal für Sprüche! Du bist eine gebildete Person, du hast das alles selber getan! Es sind nur Proteine, das weißt du! An Zellen und Geweben ist wahrhaftig nichts Heiliges, das ist nur…«
    »Ich bin mit der Theorie vertraut.«
    »Jedenfalls hast auch du davon gelebt, es hat dich ernährt und gekleidet. Es ist lächerlich, jetzt die moralisch Überlegene zu spielen.«
    »Ich weiß«, sagte die Stimme von Jimmys Mutter. »Glaub mir, das ist etwas, was ich wirklich weiß. Warum kannst du nicht eine ehrliche Arbeit finden? Irgendwas Einfaches.«
    »Zum Beispiel was und zum Beispiel wo? Soll ich Abflussgräben ausheben?«
    »Zumindest hättest du dann ein reines Gewissen.«
    »Nein, du hättest eines. Du bist diejenige mit den neurotischen Schuldgefühlen. Wieso hebst du nicht selber ein paar Gräben aus, dann bekämst du wenigstens deinen Hintern hoch. Und würdest vielleicht mit dem Rauchen aufhören – du bist praktisch eine Emphysem-Fabrik, außerdem unterstützt du im Alleingang die Tabakindustrie. Denk mal darüber nach, wenn du schon so ethisch bist. Das sind die Leute, die kostenlose Probepäckchen austeilen und damit Sechsjährige fürs Leben süchtig machen.«
    »Das weiß ich alles.« Eine Pause. »Ich rauche, weil ich deprimiert bin.
    Die Tabakindustrie deprimiert mich, du deprimierst mich, Jimmy deprimiert mich, er wird allmählich zu einem…«
    »Nimm Tabletten, wenn du so beschissen deprimiert bist!«
    »Das ist kein Grund, ausfällig zu werden.«
    »Doch, allerdings!« Dass Jimmys Vater zu schreien anfing, war eigentlich nichts Neues, aber die Kombination mit Schimpfwörtern ließ Jimmy aufhorchen. Vielleicht geschah gleich etwas, vielleicht gab es Scherben. Er hatte Angst – dieser kalte Klumpen in seinem Magen war wieder da –, konnte aber auch nicht aufhören zu lauschen. Wenn sich eine Katastrophe anbahnte, ein endgültiger Zusammenbruch, musste er es mitbekommen.
    Aber es passierte nichts, es folgte nur das Geräusch von Schritten, jemand verließ das Zimmer. Wer? Jedenfalls würde er oder sie jetzt raufkommen und sich vergewissern, dass Jimmy schlief und nichts gehört hatte. Dann konnten sie auf der Erziehungs-Checkliste, die sie beide im Kopf mit sich herumtrugen, auch diesen Punkt abhaken. Nicht das Schlechte, das sie taten, machte Jimmy so rasend, sondern das Gute.
    Das, was angeblich gut sein sollte, jedenfalls gut genug für ihn. Wofür sie sich selber auf die Schultern klopften. Sie wussten nichts von ihm, hatten keine Ahnung, was ihm gefiel, was er nicht ausstehen konnte, wonach er sich sehnte. Sie dachten, er sei nur das, was sie sahen. Ein netter Junge, aber ein bisschen dämlich, ein bisschen angeberisch. Nicht der hellste Stern am Firmament, kein Zahlenmensch, aber man konnte eben nicht alles haben, und wenigstens war er kein totaler Versager.
    Wenigstens kein Säufer oder Süchtiger wie viele Jungen seines Alters, toi, toi, toi. Das hatte er seinen Vater sogar einmal sagen hören: toi, toi, toi, als wäre es eine ausgemachte Sache, dass Jimmy alles versaute, auf den Holzweg geriet, aber noch war es eben nicht so weit. Von der anderen, geheimen Person, die in ihm steckte, wussten sie nichts.
    Er schaltete den Computer aus, nahm den Kopfhörer ab, löschte das Licht und legte sich ins Bett, leise, auch vorsichtig, denn Killer war schon darin. Sie lag am Fußende, dort gefiel es ihr am besten; sie hatte sich angewöhnt, seine Füße abzulecken, ihm das Salz von der Haut zu lecken. Das kitzelte schrecklich; den Kopf unter der Decke, schüttelte er sich vor lautlosem Lachen.

Hammer
    Es vergingen mehrere Jahre. Sie müssen wohl vergangen sein, denkt Schneemensch: Er kann sich eigentlich an wenig erinnern, außer dass seine Stimme tief wurde und dass ihm Haare am Körper wuchsen. Was damals nicht besonders aufregend war – es wäre allerdings schlimmer gewesen, wenn das nicht passiert wäre. Er kriegte auch ein paar Muskeln. Er hatte die ersten sexuellen Träume und litt unter Antriebsschwäche. Er dachte viel an Mädchen – in abstrakten Begriffen, gewissermaßen Mädchen ohne Kopf – und an Wakulla Price mit

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