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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Schlachtfeld sei größer, sowohl zeitlich als auch räumlich.
    Blut & Rosen war ein Schacherspiel, nach dem Prinzip von Monopoly.
    Die Blut-Seite bekam Punkte für menschliche Grausamkeiten, und zwar Grausamkeiten im großen Stil: Einzelne Vergewaltigungen und Morde zählten nicht, es musste schon ein Massensterben stattfinden –
    Massaker, Völkermord und Ähnliches. Die Rosen-Seite spielte mit menschlichen Errungenschaften: Kunstwerken, wissenschaftlichen Pioniertaten, Meisterleistungen der Architektur, nützlichen Erfindungen.
    Monumente für die Erhabenheit der Seele hießen sie im Spiel. Es gab zusätzliche Hilfen. Wenn man nicht wusste, was Schuld und Sühne war, oder die Relativitätstheorie, der Pfad der Tränen, Madame Bovary, der Hundertjährige Krieg oder Die Flucht nach Ägypten, konnte man sich mit einem Doppelklick einen illustrierten Abriss hereinholen, den es in zwei verschiedenen Versionen gab: R für Kinder und PON, was für Profanität, Obszönität, Nacktheit stand. Das war das Gute an der Geschichte, sagte Crake: Davon hatte sie jede Menge.
    Man warf den virtuellen Würfel, und es erschien entweder ein Rosen-oder ein Blut-Symbol. War es das Blut-Symbol, so hatte der Rosen-Spieler die Chance, die Gräueltat zu verhindern, aber er musste dafür eine Rose hergeben. Damit tilgte er die Gräueltat aus der Geschichte, jedenfalls aus der Bildschirmversion der Geschichte. Der Blut-Spieler konnte eine Rose erwerben, aber nur, indem er eine Gräueltat dafür eintauschte, so dass er selbst weniger Munition, der Rosen-Spieler aber mehr hatte. Ein geschickter Spieler konnte die Rosen-Seite mit seinem Kapital an Gräueln angreifen, die menschlichen Errungenschaften rauben und auf seine Seite des Spielfelds herüberholen. Sieger war derjenige, der bei Spielende die meisten menschlichen Errungenschaften vorzuweisen hatte. Natürlich gab es Punktabzüge für Errungenschaften, die durch eigene Schuld, Dummheit oder idiotische Strategie vernichtet worden waren.
    Die Wechselkurse waren vorgegeben – eine Mona Lisa für ein Bergen-Belsen, ein armenischer Völkermord für Beethovens Neunte plus drei ägyptische Pyramiden –, Feilschen aber erlaubt. Dazu musste man die Zahlen kennen – bei den Gräueltaten die Gesamtzahl der Leichen, auf der Gegenseite die Marktpreise für Kunst; oder, im Fall von Kunstraub, die bezahlten Versicherungssummen. Es war ein gemeines Spiel.

    »Homer«, sagt Schneemensch, während er sich durch die triefend nasse Vegetation kämpft. »Die Göttliche Komödie. Die griechische Skulptur.
    Aquädukte. Das verlorene Paradies. Mozart. Shakespeare, sämtliche Werke. Die Bronte-Schwestern. Tolstoi. Die Perlenmoschee. Die Kathedrale von Chartres. Bach. Rembrandt. Verdi. Joyce. Penizillin.
    Keats. Turner. Herztransplantationen. Polio-Impfung. Berlioz.
    Baudelaire. Bartok. Yeats. Woolf.«
    Da muss doch noch mehr gewesen sein. Da war noch mehr.
    Die Plünderung von Troja, sagt eine Stimme in seinem Ohr. Die Zerstörung Karthagos. Die Wikinger. Die Kreuzzüge. Dschingis Khan.
    Attila, der Hunne. Das Massaker an den Katharern. Die Hexenverbrennungen. Die Vernichtung der Azteken. Der Mayas. Der Inkas. Die Inquisition. Vlad der Pfähler. Das Massaker an den Hugenotten. Cromwell in Irland. Die Französische Revolution. Die Napoleonischen Kriege. Die irische Hungersnot. Sklaverei im Süden der Vereinigten Staaten. König Leopold im Kongo. Die Russische Revolution. Stalin. Hitler. Hiroshima. Mao. Pol Pot. Idi Amin. Sri Lanka. Osttimor. Saddam Hussein. Arnolvski.

    »Hör auf«, sagt Schneemensch.
    Tut mir Leid, Schatz. Wollte nur helfen.

    Das war das Problem bei Blut & Rosen: Die Gräuel hafteten viel besser im Gedächtnis. Das zweite Problem war, dass der Blut-Spieler meistens gewann, aber gewinnen hieß, dass man verwüstetes Land dafür bekam.
    Das sei der Sinn des Spiels, sagte Crake, wenn Jimmy sich beschwerte.
    Jimmy sagte, wenn das der Sinn sei, dann sei es ziemlich sinnlos. Dass er manchmal üble Albträume hatte, verschwieg er: Am schlimmsten war aus irgendeinem Grund der Traum, in dem der Parthenon mit abgehackten Köpfen dekoriert war.
    In stillschweigender Übereinkunft gaben sie Blut & Rosen auf, was Crake recht war, denn er hatte schon wieder etwas Neues aufgetan –
    Extinctathon, ein interaktives Wissensspiel für Biofreaks, das er im Web gefunden hatte. EXTINCTATHON, überwacht von MaddAddam. Adam benannte die lebenden Tiere, MaddAddam benennt die toten. Willst du spielen? Dieser Text

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