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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Antwort erwartete er, was wollte er hören?
    »Warum willst du über hässliche Sachen reden?«, sagte sie. Ihre Stimme klang silbrig, wie eine Spieldose. Sie wedelte mit einer Hand in der Luft, um ihre Fingernägel zu trocknen. »Wir sollten nur an schöne Dinge denken, sooft wir können. Es ist so viel Schönes in der Welt, wenn du dich umschaust. Aber du siehst nur den Schmutz unter deinen Füßen, Jimmy. Das ist nicht gut für dich.«
    Sie wollte es ihm nicht sagen. Warum machte es ihn so wahnsinnig?
    »Es war kein echter Sex, oder?«, fragte er. »In den Filmen. Ihr habt nur so getan. Oder?«
    »Aber Jimmy, das solltest du doch wissen. Jeder Sex ist echt.«

Sveltana
    Schneemensch öffnet die Augen, schließt sie, öffnet sie, lässt sie offen.
    Er hat eine schreckliche Nacht hinter sich. Er weiß nicht, was schlimmer ist, eine Vergangenheit, in die er nicht zurückkann, oder eine Gegenwart, die ihn zerstören wird, wenn er sie zu genau betrachtet.
    Dann die Zukunft. Schwindel erregend.
    Die Sonne ist über dem Horizont und steigt unaufhaltsam höher, als hinge sie an einem Flaschenzug; flach gedrückte Wolken, oben rosa und purpurn, unten golden, stehen ringsherum reglos am Himmel. Die Wellen winken, auf, nieder, auf, nieder. Bei dem Gedanken daran wird ihm übel. Er hat einen grausamen Durst, sein Kopf schmerzt, und zwischen den Ohren ist ein hohler, wolliger Raum. Es dauert eine Weile, bis die Erkenntnis zu ihm durchdringt, dass er einen Kater hat.
    »Selber schuld«, sagt er sich. Er hat sich am Abend zuvor idiotisch aufgeführt, hat gesoffen, gebrüllt, geschwafelt, sinnloserweise mit seinem Schicksal gehadert. Früher hatte er keinen Kater nach so wenig Alkohol, aber er ist aus der Übung. Und außer Form.
    Immerhin ist er nicht vom Baum gefallen. »Morgen ist auch ein Tag«, sagt er laut. Aber wenn morgen auch ein Tag ist, was ist dann heute?
    Derselbe Tag wie immer, nur dass Schneemensch sich fühlt, als hätte er am ganzen Körper einen Zungenbelag.
    Von den leeren Türmen steigt ein Vogelschwarm auf, der sich wie ein langer gekritzelter Schriftzug entrollt – Möwen, Reiher, Kormorane, unterwegs, um an der Küste zu fischen. Rund eine Meile weiter im Süden verwandelt sich eine schon lange zugeschüttete und bebaute, noch von halb überfluteten Stadthäusern gesprenkelte Müllkippe in einen Salzsumpf. Dorthin fliegen sie alle: Da gibt es Elritzen. Er beobachtet sie grollend: Für sie ist alles in bester Ordnung, nicht die kleinste Sorge auf der Welt. Fressen, ficken, furzen, kreischen, mehr tun sie nicht. In einem früheren Leben hätte er sich vielleicht angeschlichen, hätte sie mit dem Fernglas beobachtet und ihre Anmut bestaunt. Nein, sicher nicht, das war nicht seine Art. Irgendeine Grundschullehrerin, eine Naturliebhaberin – Sally Wie? –, hatte sie damals hinaus ins Freie gescheucht, zu den von ihr so genannten Exkursionen. Der Golfplatz und die Seerosentümpel des Komplexes waren ihre Jagdgründe gewesen. Schaut nur! Seht ihr die netten Enten? Das sind Stockenten!
    Schneemensch hatte Vögel schon damals zum Gähnen gefunden, hätte ihnen deshalb aber nichts zu Leide tun wollen. Während er sich jetzt nach einer großen Steinschleuder sehnt.
    Er klettert vom Baum herunter, vorsichtiger als sonst: Ihm ist immer noch ein bisschen schwindlig. Er untersucht seine Baseball-Mütze, vertreibt einen Schmetterling – den zweifellos das Salz angelockt hatte –
    und pisst auf die Heuschrecken, wie immer. Ich habe eine tägliche Routine, denkt er. Routinen sind gut. Sein gesamter Kopf ist auf dem Weg, sich in ein riesiges Vorratslager veralteter Kühlschranksticker zu verwandeln.
    Dann öffnet er sein Betonplattenversteck, setzt seine einäugige Sonnenbrille auf, trinkt Wasser aus seinem Bierflaschenlager. Hätte er nur ein echtes Bier. Oder ein Aspirin. Oder mehr Scotch.
    »Feuerwasser«, sagt er zu der Bierflasche. Er darf nicht zu viel Wasser auf einmal trinken, sonst übergibt er sich. Er schüttet sich das restliche Wasser über den Kopf, holt sich eine zweite Flasche, setzt sich mit dem Rücken an den Baum und wartet, dass sein Magen sich beruhigt. Er wäre froh, wenn er etwas zu lesen hätte. Zu lesen, zu sehen, zu hören, zu studieren, zu sammeln.
    Sprachfetzen treiben durch seinen Kopf: m efitisch, Metronom, Mastitis, metatarsal, Merkurialismus.
    »Ich war mal ein Gelehrter«, sagt er laut. Gelehrter. Ein hoffnungsloses Wort. Was sind all die Dinge, die er einmal zu wissen glaubte, und wohin

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