Oryx und Crake
Dunkelheit kam es ihnen viel länger vor. An ihrem Ziel angelangt, wo immer das war, wurden sie einem anderen Mann übergeben, und der Lastwagen fuhr wieder davon.
»Hatte er irgendeine Aufschrift? Der Lastwagen?«, fragte Jimmy wie ein Detektiv.
»Ja. Eine rote Schrift.«
»Und, was stand da?«
»Woher soll ich das wissen?«, sagte Oryx vorwurfsvoll. Jimmy kam sich idiotisch vor. »War vielleicht ein Bild dabei?«
»Ja. Da war tatsächlich ein Bild«, sagte Oryx nach einer Weile. »Was für ein Bild?«
Oryx dachte nach. »Es war ein Papagei. Ein roter Papagei.«
»Fliegend oder stehend?«
»Jimmy, du bist wirklich komisch!«
Er prägte sich ihm ein, der rote Papagei. Jimmy behielt ihn in Erinnerung. Manchmal erschien er ihm in Tagträumen, umrankt von Geheimnis und verborgener Bedeutung, ein Symbol außerhalb aller Zusammenhänge. Wahrscheinlich war es ein Markenname, ein Logo. Er suchte im Internet nach namensgebenden Papageien: Parrot, Parrot Brand, Parrot Inc. Redparrot. Er fand Alex, den Korknuss-Papagei, der gesagt hatte: Ich geh jetzt, aber der half ihm auch nicht weiter, denn Alex hatte die falsche Farbe. Der rote Papagei sollte eine Verbindung zwischen der Geschichte, die Oryx ihm erzählt hatte, und der so genannten realen Welt herstellen. Jimmy wollte eine Straße entlanggehen oder im Web herumfischen, und heureka!, da sollte er sein, der rote Papagei, der Code, das Passwort, und mit einem Schlag wäre ihm vieles klar.
Das Gebäude, in dem die Filme gedreht wurden, befand sich in einer anderen Stadt; vielleicht war es auch ein anderer Teil derselben Stadt, denn die Stadt, sagte Oryx, war sehr groß. Sie wohnte auch in dem Gebäude, in einem Zimmer zusammen mit den anderen Mädchen. Sie kamen fast nie raus, außer manchmal auf das flache Dach, wenn der Film dort oben gedreht werden sollte. Manche Männer, die in das Gebäude kamen, wollten während der Dreharbeiten im Freien sein. Sie wollten gesehen werden und gleichzeitig verborgen sein. Deshalb führte eine Mauer rund um das Dach. »Vielleicht wollten sie von Gott gesehen werden«, sagte Oryx. »Was meinst du, Jimmy? Wollten sie vor Gott herumprotzen? Ich glaube schon.«
Diese Männer hatten alle ihre Vorstellungen davon, was in ihrem Film vorkommen sollte. Sie wollten bestimmte Gegenstände im Hintergrund haben, Stühle oder Bäume, oder sie wollten Seile, Schuhe, Geschrei.
Manchmal sagten sie: Macht es einfach, schließlich zahl ich dafür, oder etwas Ähnliches, denn alles in diesen Filmen hatte einen Preis. Jede Haarschleife, jede Blume, jeder Gegenstand, jede Geste. Wenn die Männer sich etwas Neues einfallen ließen, musste eine Diskussion darüber stattfinden, was dieses Neue kosten sollte.
»Auf die Weise habe ich alles über das Leben gelernt«, sagte Oryx.
»Was hast du gelernt?«, sagte Jimmy. Die Pizza war ihm nicht bekommen, geschweige denn das Zeug, das sie danach geraucht hatten.
Ihm war ein bisschen übel.
»Dass alles einen Preis hat.«
»Nicht alles. Das kann nicht stimmen. Zum Beispiel Zeit, die kann man nicht kaufen. Zum Beispiel…« Er wollte Liebe sagen, zögerte aber.
Es war zu abgedroschen.
»Man kann sie nicht kaufen, aber sie hat einen Preis«, sagte Oryx.
»Alles hat einen Preis.«
»Ich nicht«, versuchte Jimmy zu scherzen. »Ich hab keinen Preis.«
Falsch, wie gewöhnlich.
In einem Film zu sein, sagte Oryx, bedeutete, alles zu tun, was einem befohlen wurde. Wenn sie ein Lächeln wollten, musste man lächeln, wenn sie ein Weinen wollten, musste man weinen. Man musste mit den Männern tun, was sie einem sagten, und manchmal machten auch die Männer bestimmte Dinge mit einem. Das war Film.
»Was für Dinge?«, sagte Jimmy.
»Du weißt schon«, sagte Oryx. »Du hast es gesehen. Du hast ein Bild davon.«
»Ich hab nur diesen einen Film gesehen«, sagte Jimmy. »Nur einen Film mit dir darin.«
»Ich wette, du hast mehr Filme mit mir gesehen. Du weißt es nur nicht. Ich konnte ja immer anders aussehen, konnte andere Kleider und Perücken tragen, ich konnte jemand anders sein, andere Dinge tun.«
»Wie zum Beispiel? Was wollten sie sonst noch von dir?«
»Sie waren immer gleich, diese Filme«, sagte Oryx. Sie hatte sich die Hände gewaschen und lackierte jetzt ihre Fingernägel, ihre zarten ovalen, so vollendet geformten Nägel. Pfirsichfarben, passend zu dem geblümten Morgenrock, den sie trug. Nicht der kleinste Fleck an ihr.
Später würde sie die Zehennägel lackieren.
Filme zu drehen war für
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