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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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sind sie verschwunden?

    Nach einer Weile stellt er fest, dass er hungrig ist. Was gibt es Essbares in seinem Versteck? Sollte nicht noch eine Mango da sein? Nein, das war gestern. Davon ist nur noch eine klebrige, von Ameisen bedeckte Plastiktüte übrig. Er hat noch den Schokoladenriegel, aber danach ist ihm momentan nicht. Deshalb öffnete er die Dose Sveltana-Würstchen mit seinem rostigen Büchsenöffner. Er könnte gelegentlich einen besseren brauchen. Es sind Diätwürste, beige und unangenehm weich –
    Babykacke, denkt er –, aber er würgt sie runter. Sveltanas sind immer besser, wenn man nicht hinschaut.
    Das ist Protein, aber es reicht nicht. Nicht genug Kalorien. Er trinkt das warme, fade Wurstwasser, das bestimmt voller Vitamine ist, sagt er sich. Oder wenigstens voller Mineralstoffe. Oder voller irgendwas.
    Früher wusste er so etwas. Was passiert mit seinem Verstand? Er hat eine Vision vom oberen Ende seines Halses, das wie ein Badewannenabfluss in seinen Kopf hineinragt. Wortfragmente werden in die Tiefe gesaugt, verschwinden in einem Strudel grauer Flüssigkeit, die, wie er erkennt, sein in Auflösung begriffenes Gehirn ist.
    Zeit, sich der Realität zu stellen. Um es grob zu sagen: Er ist dabei zu verhungern. Ein Fisch pro Woche ist alles, worauf er sich verlassen kann, und die Leute nehmen es leider wörtlich: Es kann ein halbwegs ordentlicher Fisch sein oder auch ein ganz winziger, der nur aus Gräten und Knochen besteht. Er weiß, wenn er das Protein nicht mit Stärke und diesem anderen Zeug ausgleicht – mit Kohlehydraten, oder sind die dasselbe wie Stärke? –, wird er sein eigenes Körperfett verbrauchen, jedenfalls den traurigen Rest davon, und danach seine Muskeln. Sein Herz ist ein Muskel. Er stellt sich vor, wie sein Herz auf Walnussgröße zusammenschrumpft.
    Anfangs ist es ihm noch gelungen, Obst aufzutreiben, nicht nur in Form von erbeuteten Konserven, sondern frisches Obst aus dem verlassenen Botanischen Garten eine Stunde Fußmarsch im Norden.
    Den Weg hat er mit Hilfe einer Landkarte gefunden, die er damals besessen hat, aber die Karte ist schon lange verschwunden, von einem Gewittersturm davongeweht. Früchte der Welt war die Abteilung, die er ansteuerte. In der Tropischen Zone waren ein paar Bananen gereift, auch etliche andere Früchte, rund, grün und knotig, die er nicht hatte essen wollen, weil sie vielleicht giftig waren. In der Gemäßigten Zone fand er auch ein paar Weintrauben, die von einer Pergola herabhingen. Die solarbetriebene Klimaanlage im Gewächshaus funktionierte noch, obwohl eine Scheibe geborsten war. Es gab sogar Aprikosen, als Spalierobst an einer Wand, allerdings nur wenige und mit fauligen Stellen, wo die Wespen sie angenagt hatten. Er verschlang sie trotzdem; auch ein paar Zitronen. Sie waren schrecklich sauer, aber er zwang sich, den Saft zu trinken: Mit dem Problem Skorbut war er aus alten Seefahrerfilmen vertraut. Blutendes Zahnfleisch, reihenweise ausfallende Zähne. Das ist ihm bis jetzt nicht passiert.
    Die Früchte der Welt sind jetzt abgeerntet. Wie lang wird es dauern, bis weitere Früchte der Welt entstehen und reifen? Er hat keine Ahnung.
    Ein paar wilde Beeren müsste es doch geben. Er wird die Kinder danach fragen, wenn sie das nächste Mal vorbeikommen: Mit Beeren werden sie sich wohl auskennen. Er hört sie ein Stück weiter unten am Strand lachen und einander rufen, aber anscheinend sind sie heute nicht auf dem Weg zu ihm. Vielleicht wird er ihnen allmählich langweilig, vielleicht sind sie es leid, ihn um Antworten zu bitten, die er nicht geben kann oder die sie nicht verstehen. Vielleicht ist er ein alter Hut, hat den Reiz des Neuen eingebüßt, ein zerbeultes Spielzeug. Vielleicht hat er sein Charisma verloren, wie ein abgewrackter, halb kahler Popstar von vorgestern. Er sollte sich darüber freuen, dass sie ihn in Zukunft vielleicht in Ruhe lassen, aber die Vorstellung ist deprimierend.
    Mit einem Boot könnte man zu den Türmen hinausrudern, hinaufklettern, Nester ausräumen, Eier stehlen. Wenn er eine Leiter hätte. Nein, schlechte Idee: Die Türme sind zu instabil, schon in den paar Monaten, die er hier ist, sind mehrere eingestürzt. Er könnte zu der Gegend der Bungalows und Wohnwagen gehen und Ratten erlegen und seine Beute dann auf glühenden Kohlen grillen. Das wäre überlegenswert. Oder er könnte versuchen, bis zum nächstgelegenen Modul zu gelangen, das eine reichere Ernte verspricht als die Wohnwagen, weil die

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