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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Proteine der Spinnenseide aus, woraus ein Faden gewonnen wurde, der extrem reißfest und leicht war. Die Hauptanwendung war gegenwärtig die Erzeugung kugelsicherer Westen. Die CorpSeCorps-Leute schworen auf das Zeug.
    Das weitläufige Gelände innerhalb der Schutzmauern war wunderschön gestaltet: ein Werk der LandForm-Fakultät, sagte Crake.
    Die Studenten der Botanischen Transgenik (Abteilung Zierpflanzen) hatten ein ganzes Sortiment dürre- und überschwemmungsresistenter tropischer Mischungen erzeugt, deren Blüten und Blätter in grellen Tönen leuchteten, von Chromgelb und strahlendem Feuerrot bis hin zu phosphoreszierendem Blau und Neonpurpur. Anders als die rissigen, von Löchern durchsetzten Betonpfade von Martha Graham waren die Wege zwischen den Gebäuden hier glatt und breit, Studenten und Personal rollten in ihren Elektrowagen darauf hin und her.
    Hier und dort ragten Felsimitate auf, bestehend aus einer Kombi-Matrix aus aufbereiteten Plastikflaschen und pflanzlichem Material, das mächtige Baumkakteen sowie verschiedene Lithops aus der Familie der Mittagsblumengewächse lieferte, auch »lebende Steine« genannt. Das Verfahren sei patentiert, sagte Crake, es sei am Watson-Crick entwickelt worden und heute eine nette kleine Einnahmequelle. Die falschen Felsen sahen aus wie echter Stein, wogen aber weniger; ihr Hauptvorzug war jedoch, dass sie in Feuchtperioden Wasser absorbieren und in Dürrephasen wieder freisetzen konnten und somit als natürliche Rasenregulatoren wirkten. »Rockulatoren« lautete der Produktname. Bei Wolkenbrüchen sollte man sich allerdings tunlichst von ihnen fern halten, denn unter Umständen konnten sie explodieren.
    Aber die meisten Kinderkrankheiten seien inzwischen überwunden, sagte Crake, jeden Monat entstünden neue Spielarten. Ein Studententeam arbeitete derzeit an der Entwicklung des so genannten Mosesmodells, das in Krisenzeiten verlässlich frisches Trinkwasser liefern konnte. Schlag mit deinem Stab drauf! lautete der vorgeschlagene Slogan.
    »Wie funktioniert das denn?«, fragte Jimmy, bemüht, nicht allzu beeindruckt zu klingen.
    »Keine Ahnung«, sagte Crake. »Ich bin nicht in NeoGeologie.«
    »Und diese Schmetterlinge – sind sie rezent?«, fragte Jimmy nach einer Weile. Die Schmetterlinge, die er meinte, hatten Flügel wie Pfannkuchen, waren grellrosa und drängten sich alle auf einem purpurnen Strauch.
    »Du meinst, ob sie in der Natur vorkamen oder von Menschenhand geschaffen wurden? Also wirklich oder falsch?«
    »Hm«, sagte Jimmy. Er wollte sich mit Crake nicht schon wieder auf die Diskussion Was ist wirklich? einlassen.
    »Weißt du, wenn sich jemand die Haare färbt oder die Zähne richtet?
    Oder wenn eine Frau sich die Titten vergrößern lässt?«
    »Ja?«
    »Hinterher sehen die Leute in Echtzeit so aus. Der Prozess, der dazu geführt hat, ist nicht mehr wichtig.«
    »Falsche Titten fühlen sich völlig anders an als echte«, sagte Jimmy, der einiges davon zu verstehen meinte.
    »Wenn du gemerkt hast, dass sie falsch sind«, sagte Crake, »dann waren sie schlecht gemacht. Diese Schmetterlinge fliegen, paaren sich, legen Eier, aus denen Raupen herauskriechen.«
    »Hm«, sagte Jimmy noch einmal.

    Crake hatte keinen Mitbewohner. Und er hatte eine Suite, holzgetäfelt, mit druckknopfgesteuerten Jalousien und einwandfrei funktionierender Klimaanlage. Sie bestand aus einem geräumigen Schlafzimmer mit angegliederter Nasszelle samt Dampfbadfunktion, einem zentralen Wohn-Ess-Bereich mit ausziehbarer Couch – auf der Jimmy schlafen sollte – sowie einem Arbeitszimmer mit eingebautem Musiksystem und einem beeindruckenden Aufgebot an elektronischen Spielereien aller Art. Es gab auch einen Reinigungsservice, die Wäsche wurde abgeholt und sauber wieder geliefert. (Diese Information fand Jimmy deprimierend: In Martha Graham musste er seine Sachen selber waschen, mit den rasselnden, schnaufenden Waschmaschinen und den Trocknern, die alles grillten. In Gang gesetzt wurden sie mit Plastikjetons, denn als die Maschinen noch Münzen angenommen hatten, waren sie regelmäßig aufgebrochen worden.) Crake hatte auch eine freundliche Kochnische. »Nicht, dass ich die oft benutze«, sagte Crake. »Außer zwischendurch mal. Die meisten von uns essen im Speisesaal. Jede Fakultät hat ihren eigenen.«
    »Wie ist das Essen?«, fragte Jimmy. Er kam sich mehr und mehr vor wie ein Neandertaler, der von Parasiten geplagt in einer Höhle hauste und gelegentlich einen Knochen

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