Osama (German Edition)
Schlafen konnte er immer noch nicht. Er war in dem Bistro geblieben, bis draußen die Sonne allmählich sank und die Straßenlaternen angingen. Er hatte das Tagesgericht bestellt, einen Eintopf aus Bohnen, fettigem Fleisch und Karotten, der mit Brot serviert wurde. Als der Mann hinterm Tresen ihm den Teller hinstellte, fragte er Joe: »Suchen Sie den Griechen?«
Das Essen roch gut und ließ Joes Magen knurren. Kurz dachte er an die Frau, der er am Flughafen begegnet war. Flugzeugessen, das ist alles, was ich jetzt schmecken kann, hatte sie gesagt. Er verzog das Gesicht. Während er den Löffel in die Hand nahm, dachte er über die Frage des Barkeepers nach. Der Mann beobachtete ihn geduldig. Er hatte einen kahlen Kopf, eine Knollennase und Haare auf den Fingerrücken. Seine Augen waren von einem klaren, ruhigen Blau. »Ich weiß nicht«, sagte Joe. »Tue ich das?«
Der Mann zuckte die Schultern. »Geht mich nichts an«, sagte er freundlich. »Guten Appetit.«
Joe aß. Der Mann machte sich von neuem daran, Gläser blank zu putzen. Als Joe fertig war, drehte der Barkeeper sich wieder um und räumte seinen Teller ab. »Warten Sie«, sagte Joe.
»Ja?«
»Wissen Sie, nach wem ich suche?«
Der Mann zuckte die Schultern. »Nach wem suchen wir alle?«, sagte er, gerade mal den Hauch eines Lächelns im Gesicht. Joe sagte: »Ich muss es wissen.«
»Wir servieren Getränke und Eintopf«, sagte der Barkeeper. »Alles andere geht extra.« Joes Teller in der Hand, zog er davon.
Joe lächelte, dann schob er mit Bedacht einen Zwanzig-Franc-Schein unter sein inzwischen leeres Glas. Als der Mann zurückkam, entging ihm der Schein nicht, und mit einem kaum merklichen Nicken goss er ein Maß Whisky in Joes Glas und fügte einen neuen Eiswürfel hinzu. Der Schein war verschwunden. »Einen für Sie?«, fragte Joe. Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich trinke nie«, sagte er.
»Bleibt mehr für uns andere«, sagte Joe. Der Barkeeper lächelte. »Genau«, sagte er, während er sich einen Stuhl heranzog und sich auf der anderen Seite des Tresens hinsetzte. Joe sagte: »Reden Sie«, was das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes noch breiter machte. »Sie haben nicht mit ihr geschlafen?«, fragte der Barkeeper. »Mit der Frau, die Sie hergebracht hat?«
»Warum sollte ich? Nein«, sagte Joe. Der Mann nickte. »Interessant«, sagte er. »Sie ist nicht ganz da, wissen Sie«, sagte er, als gäbe er ein großes Geheimnis preis. »Was es interessant machen kann, falls Sie wissen, was ich meine. Jedenfalls könnte ich mir das vorstellen. Nicht ganz klar, das Mädchen. Vor allem, wenn sie nicht trinkt.« Wieder zuckte er die Schultern. »Nicht, dass man das oft erleben würde.«
»Der Grieche«, sagte Joe in dem erfolgreichen Bemühen, ihn zu ignorieren. »Papa D. Wer ist das?«
»Aha, Sie suchen also tatsächlich nach ihm«, sagte der Mann hinterm Tresen. »Hab ich mir gedacht. Ich hatte nicht vor zu lauschen, aber ich kann nichts dafür, wenn ich Sachen mitkriege.«
»Klar«, sagte Joe. »Können Sie nicht.«
Der Mann blickte ihn lange an, ehe er zu beschließen schien, das Thema fallen zu lassen. »Weiß nicht, was ich Ihnen erzählen kann«, sagte er schließlich. »Die Mädchen nennen ihn Papa D. Er heißt Papadopoulos. Keine Ahnung, wie er mit Vornamen heißt, ob er überhaupt einen hat. Merkwürdiger kleiner Mann. Kugelrund. Buchverleger, falls man die Dinger, die er rausbringt, Bücher nennen kann. Halb Grieche, halb Armenier, halb weiß der Geier was. Papa D.« Joe zündete sich eine Zigarette an. Sein Gegenüber verstummte, anscheinend erschöpft von der Anstrengung, eine so knappe Biografie zu erstellen. In Mathe, dachte Joe, war der Mann nicht ganz fit. Er blies Rauch aus und sagte in bewusst gelangweiltem Ton, so als hakte er Punkte auf einer Inventarliste ab: »Wie heißt sein Verlag?«
»Medusa«, sagte der andere. Ihre Blicke trafen sich. Der des Barkeepers sagte: Verarsch mich nicht, Freundchen . Joe lächelte und zuckte, den Mann gekonnt nachahmend, die Schultern. »Sehen Sie ihn manchmal hier?«
»Ich sehe eine Menge«, sagte der Barkeeper. Joe erwiderte: »Sehen Sie das?« und zog einen zweiten Geldschein hervor. Nach der Landung hatte er am Flughafen erneut die schwarze Kreditkarte eingesetzt, indem er mit ihr in die Niederlassung des Crédit Lyonnais gegangen war, um Geld abzuheben. Zu seiner Überraschung hatten sie es ihm gegeben.
Der Barkeeper nahm den Schein und musterte ihn kritisch. Joe zog an der Zigarette,
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