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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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amerikanische Stimmen
    Er war gar nicht an der Post interessiert, sondern daran, wer sie holen kam, aber mehr noch: Er hasste es, vor dem Frühstück zusammengeschlagen zu werden. Nachdem die Männer gegangen waren, blieb Joe noch lange auf dem Boden liegen, den Blick starr in den blaugrauen Himmel gerichtet, wo Wolken sich zu den Umrissen von Pyramiden und Windmühlen zusammenballten, eine ebenso falsche Kulisse wie die unten. Seine Rippen schmerzten, und sein Mund hatte den warmen Salzgeschmack von Meerwasser oder Blut.
    Niemand näherte sich ihm. Es waren wenig Leute im Park, und niemand war hergekommen. Schließlich drehte er sich stöhnend um, rappelte sich auf die Knie hoch und erbrach sich ins Gras.
    Als er sich kräftig genug fühlte, aufzustehen, tat er das, und die Welt drehte sich. Es war ein eigentümliches Gefühl. Wenn er irgendeinen Punkt mit den Augen fixierte, schwenkten sie von selbst davon weg. Konzentrierte er sich von neuem, indem er irgendetwas Konkretes anvisierte, ließen seine Augen ihn wieder im Stich und glitten weg. Er stützte sich gegen einen Baumstamm, atmete tief durch, und schließlich begann die Welt sich wieder zu beruhigen. Billige Anzüge und amerikanische Stimmen, dachte er, und dann noch etwas – wovor hatten sie Angst?
    Er machte ein paar wacklige Schritte und setzte sich so hin, dass er die Pyramide sehen konnte. Es tat gut zu sitzen. Am Fuß der Pyramide befand sich eine kleine Öffnung, ein leerer Türdurchgang, der aus dem eigentlichen Bauwerk vorsprang. Die Ziegel waren von einem fleckigen Braun und Grün, das weiter unten in Grauweiß überging. Außerhalb davon standen zwei verzierte Steinurnen. Joe dachte, der Junge müsse seine Tasche in die Öffnung der Pyramide gelegt haben, hatte es jedoch nicht eilig, hinzugehen und nachzusehen. Er fischte seine Zigarettenschachtel aus der Tasche, um bestürzt festzustellen, dass sie zerknittert war. Dennoch schüttelte er sich eine heraus, glättete sie, so gut es ging, zündete sie an und sog mit bebendem Atem den Rauch in seine Lunge, wo er ihn eine ganze Weile festhielt, ehe er ihn wieder ausstieß. Die Pyramide war ein toter Briefkasten. Er betrachtete sie und lauschte auf die Verkehrsgeräusche in der Ferne, während er Rauch und den Geruch der Bäume einatmete. Über ihm hingen jetzt mehr Wolken, er konnte spüren, dass der Regen kam, und als er da war, taten ihm die Tropfen auf der Haut gut, und er hob den Kopf und machte den Mund auf, um sie einzufangen; seine Zunge fühlte sich geschwollen an. Er drehte den Kopf, als ein Lichtstrahl durch die Wolken fiel und auf der anderen Seite der Pyramide auftraf, und einen Augenblick lang glaubte er, sie wieder zu sehen, die Frau, die zu ihm gekommen war, dort zwischen der Sonne und den Regentropfen schwebend, den Blick auf ihn gerichtet, und dann war sie fort und mit ihr die Sonne. Der Kopf tat ihm weh, und er wusste, dass er hier weg- und ins Hotel zurückgehen sollte, doch er blieb sitzen, und dann sah er Papa D.s anderen Kurier, für ihn kaum eine Überraschung, sondern eher die Bestätigung einer Vermutung: Es war die junge Frau aus der Bar, die etwas wackelig über den unbewachsenen Pfad zu der Pyramide schwankte, als sie dort war, hineingriff und ihre Hand mit der kleinen braunen Tasche wieder herauszog. Die schlang sie sich über die Schulter, hielt dann inne, um einen kleinen Flachmann hervorzuholen, und nahm, nachdem sie den Verschluss aufgeschraubt hatte, einen tiefen Schluck, schraubte das Fläschchen wieder zu und ließ es in einer Manteltasche verschwinden. Sie trug einen langen schwarzen Mantel, der ihr fast bis zu den Füßen reichte, ihr Haar steckte unter einer Wollmütze, und sie ging los, ohne sich umzusehen.
    Joe lechzte nach diesem Drink. Stattdessen erhob er sich, vorsichtig, spürte, wie der Schmerz ihn durchzuckte, versuchte aber, ihn zu ignorieren, und machte sich an die Verfolgung der Frau.
    Sie ging den kurzen Weg zum Ausgang des Parks und von dort hinunter in die Metrostation Monceau. Joes ganzer Körper schmerzte, und seine Kleider waren feucht vom Regen, klebten an seiner Haut und verursachten einen Juckreiz. Er folgte der Frau nach unten, kaufte sich eine Fahrkarte, stieg in einiger Entfernung hinter ihr in U-Bahnen ein und wieder aus, bis sie die Seine überquert hatten und am Saint-Michel an die Oberfläche zurückkamen.
    Das Sonnenlicht tat in den Augen weh. Auf dem Platz schienen die Tauben mitten im Flug zu verharren. Über dem Brunnen war der

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