Osama (German Edition)
weshalb.
Joe ging die von Bäumen gesäumte Avenue Ruysdaël entlang und in den Monceau hinein.
Fabriques
Es war ein grüner Ort, eine kleine abgeschlossene Blase mit einer Welt innerhalb und doch abseits der eigentlichen Stadt. Auf einer Bank im Gras saß ein älterer Mann, der bedächtig ein Sandwich aß. Scheinbar ganz und gar von dem aufwendigen Vorgang des Essens eingenommen, führte er das Baguette zum Mund und biss ein Stück ab, knabberte die Seiten dann so an, dass sie gleich waren, ließ das Baguette wieder auf die gebrochen weiße Serviette sinken, die ausgebreitet auf seinen Knien lag, und kaute. Er kaute sehr konzentriert und unter Einbeziehung aller Zähne, während seine Hände das angebissene Baguette auf den Knien festhielten und seine Augen in die Ferne starrten, wobei sich seine grauen, buschigen Augenbrauen im Rhythmus des Kauens auf und ab bewegten. Am Ende schluckte der Mann, wartete und ließ den Bissen sacken, bevor er das Sandwich erneut hob und den Vorgang wiederholte.
Joe folgte dem Jungen weiter, aber mehr mit den Augen. Der Junge war schon hier gewesen. Er fand sich in der Stille zurecht. Joe wünschte, ihm ginge es ebenso. Im Park verstreut standen kuriose Bauten. Eine chinesische Pagode. Eine holländische Windmühle. Korinthische Säulen. Und als er dem Jungen auf seinem Weg zu, ja, zu der aus Ziegeln erbauten Miniaturausgabe einer ägyptischen Pyramide folgte, die sich unter die Bäume schmiegte, fiel Joe das Wort ein.
Das Wort lautete fabriques . Diese Gegenstände, diese Bauten, die man en miniature in Monceau errichtet hatte, waren Gegenstände, die der Realität ähneln sollten, an sich aber nicht real waren. Sie waren architektonische Märchen, eine erfundene szenografische Landschaft: Sie waren zu Kunstzwecken konstruierte Lügen, aber sie waren nicht real, dachte Joe. Sie waren nicht real. Der Park war ein fiktiver Raum mitten in der Stadt. Außerhalb davon entstanden Gebäude aufgrund der Kräfte des Marktes, aufgrund des menschlichen Bedürfnisses nach Behausung – aufgrund der doppelten Kraft von Gier und Bedürfnis. Und die Gebäude waren nicht ohne Grund da, Menschen lebten darin, arbeiteten darin, schliefen, aßen, fickten und starben darin, und sie machten die Stadt, den Raum, wo Menschen lebten, real und fassbar, genau das, was der Park nicht war. Joe blieb stehen und starrte über den Rasen die fleckige grauweiße Pyramide an, und da sah er, dass der Junge, als er um sie herumgegangen und auf der anderen Seite wieder zum Vorschein gekommen war, seine braune Schultertasche nicht mehr hatte und dass er beinahe lächelte. Reglos auf dem Rasen stehend, sah er dem Jungen nach und horchte auf die Stille. Ein Paar ging Hand in Hand spazieren, die Frau im Sommerkleid, obwohl es noch nicht Sommer war, und als sie nur einen Moment lang den Kopf drehte, dachte er an seine Kundin, die Frau, die ihn engagiert hatte, und er fühlte etwas, was er nicht in Worte fassen konnte, was aber schmerzte, und wandte sich von dem Paar ab.
Überall in dem kleinen Park standen Statuen herum. Die Gestalten regloser und schweigender Männer, in einer Pose erstarrt, den Blick in die Ferne gerichtet, Männer, die sich einmal bewegt und geliebt und gelacht hatten: Chopin, die Finger reglos, die Musik tot, und Maupassant, dessen erstarrte Finger nicht mehr schreiben konnten, aber natürlich waren auch sie nicht real: Sie waren die Nachbildungen der Männer, die Musik und Worte komponiert hatten, aber nicht real: Auch sie waren fabriques .
Das englische Wort für fabrique lautete folly , Torheit also, und Joe überlegte, was er wohl zu bedeuten hatte, dieser Unterschied in den Sprachen. War es wirklich Torheit, in einer Welt zu existieren, die ein Märchen war, die nicht real, sondern nur dazu gedacht war, so zu erscheinen? Oder zählte schon die Existenz an sich, existierten die Statuen, auch wenn sie nicht real waren, als Andenken an das, was gewesen war, als Gedächtnishilfen in diesem Reich der Schatten und Halbwahrheiten, das die Vergangenheit darstellte? Während er in dem Park umherlief, sah er sich die Wege an, die Spaziergänger, hielt nach Beobachtern Ausschau, nach jedem, der ihm gefolgt sein könnte, nach Schatten, die nicht hätten da sein dürfen – und dann brauchte er gar nicht mehr weit zu schauen, denn sie kamen direkt auf ihn zu, zu dritt, und sie lächelten, was, so dachte Joe bei sich, nie etwas Gutes zu bedeuten hatte.
Sie waren zu dritt, und sie trugen schwarze Anzüge,
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