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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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ein Bushaltestellenhäuschen aussah.
    Die Geschäfte am Newport Place waren anders. Joe wusste, dass eine kleine Gasse, Little Newport, den Platz mit der Charing Cross Road verband, aber Bücher gab es hier keine. Die Luft war von einer anderen Art Rauch als dem in der Gerrard Street erfüllt: Kochdunst, aber nicht von Enten oder Nudeln. Der Junge ging an der Pagode vorbei und verschwand durch eine Tür ohne Namen. Auf dem Newport Place gab es nur wenig Reklame. Es gab einen Pub, dessen Fenster schmierig und dessen Inneres dunkel war, und drinnen konnte er niemanden sehen. Er hieß »The Edwin Drood«, und Joe dachte an Graffiti, und mit einem Mal war ihm kalt.
    Orte wie diesen hatte er schon gesehen.
    Er näherte sich der Tür, durch die der Junge gegangen war. Er klopfte, und die Tür öffnete sich, einen Spalt nur, durch den nichts zu sehen war als ein Gesicht, nicht chinesisch, sondern dunkler, Hmong vielleicht, oder eins der Tai-Völker, und es sagte: »Was wollen Sie?«
    »Hineinkommen.«
    Jenseits der Tür konnte er nichts sehen, aber riechen konnte er es. Der Mann in der Türöffnung sagte: »Vergessen Sie’s, Mister. Sie gehören hier nicht hin.«
    Joe ließ sich von einem Verdacht leiten. »Ich möchte zu Madam Seng.«
    Das Gesicht, körperlos, wie befreit von jeder sterblichen Verankerung des Fleisches, machte zwischen den Zähnen ein zischendes Geräusch des Missfallens. »Keine Madam Seng hier. Sie gehen.«
    Joe wühlte in seiner Tasche, zauberte einen Geldschein hervor. »Hilft das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge?«
    Der Mann lächelte und vergaß, nur für einen Moment, den Akzent. »Mein Gedächtnis ist, so wie es ist, völlig in Ordnung«, sagte der Mann.
    »Schade nur, dass Ihre Manieren es nicht sind«, sagte Joe. Er stürzte sich auf das Gesicht, doch der Mann, dem es gehörte, war schneller, und die Tür knallte Joe vor der Nase zu, beinahe hätte er sich die Finger eingeklemmt. Das laute Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss umgedreht wurde, war zu hören.
    »Scheißkerl!«, sagte Joe mit Inbrunst.

Die Leiche in der Bibliothek
    Er klopfte laut an die Tür, aber es gab keine Reaktion, und er erwartete auch keine. Passanten starrten ihn an. Er trat von der Tür zurück, funkelte sie an, doch sie wollte immer noch nicht aufgehen. »Ich komme wieder«, sagte er, worauf es ihm irgendwie besser ging. Flüchtig sah er zum Edwin Drood hinüber, dachte an einen Drink, fleckige Fenster, doch als das baufällige Gebäude ihn seinerseits aus seinen dunklen, fleckigen Scheiben anfunkelte, vertrieb es den Wunsch. Stattdessen ging er die Little Newport hinunter, vorbei an Buden, in denen Räucherwerk, Buddhastatuen, Poster von Sun Yat-sen, Kompasse, aus Kupferdraht geformte Tierfiguren, billiges Make-up, noch billigeres Parfüm verkauft wurden, vorbei an einer Tür, die sich auf ein Treppenhaus öffnete, in dem ein handgeschriebenes Schild darauf hinwies, dass Miss Josette oben für Französischstunden zu haben sei, ein anderes für Miss Bianca und Griechisch, vorbei an einem Knödelrestaurant, einer Bude, wo er seinen Namen in ein Reiskorn hätte eingravieren lassen können, und auf die Charing Cross Road.
    Diesmal bog er nach rechts ab. Als er am Eingang zur U-Bahn vorbeikam, vermied er es, hinabzuschauen. Er rannte in die Menschenmenge, die sich in beide Richtungen über den Leicester Square schob, eine Hand immer auf seiner Tasche, wartete an der Ampel geduldig auf Grün, überquerte die Straße, ging am Wyndham’s Theatre vorbei, dann am Cecil Court mit seinen diversen Spezialbuchhandlungen und betrat die Stadtbibliothek Charing Cross.
    Bibliotheken hatte Joe immer gemocht, wenn er sich auch nicht erinnern konnte, in letzter Zeit eine besucht zu haben. Es ging etwas Beruhigendes aus von dem engen Raum, den Buchreihen, die ordentlich Grenzen markierten, an Geräuschen nur das Umblättern von Seiten, geflüsterte Unterhaltungen und der gedämpfte Verkehrslärm von draußen. Er begab sich in die Leseecke und fand die Zeitungen der Woche ordentlich an Holzstäben drapiert, so dass sie aussahen wie ein Schwarm erschöpfter Albatrosse. Ein paar davon befreite er und zog sich an einen freien Tisch an der Wand zurück.
    Vor drei Tagen.
    Auf Seite eins fand er für keinen der Tage etwas.
    Vor drei Tagen, und es kam ihm wie ein ganzes Leben vor.
    Auf Seite zwei auch nicht.
    Das Leben von irgendjemandem.
    Die Nachtausgabe von vor drei Tagen. Seite drei. Eine Schießerei in Soho.
    Er las es sich durch. Am

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