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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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geschlossenen, verriegelten Türen, all die dunklen Räume, die nie erleuchtet sein würden, all die verborgenen, geheimen Inschriften im Kopf, all das tat ihm leid. Longshott, falls er es wirklich war, verdiente seine Bewunderung für die Einrichtung der Postschleife London–Paris–London, Frith Street zum Boulevard Haussmann und zurück, eine endlose, sich wiederholende Schleife, die alles verbarg und nichts enthüllte.
    Vielleicht aber auch nicht, dachte er. Nicht ganz nichts. Er setzte sich aufrechter hin. Aus seiner Tasche zog er den Brief, den er abgeholt hatte. Auf der Briefmarke die Freiheitsstatue, ein Poststempel von vor zwei Wochen. Er untersuchte den Umschlag, fand nichts, riss ihn auf.
    Ein Blatt Papier, wie eine Ziehharmonika gefaltet, rutschte heraus und in Joes Hand.
    Auf seinen Knien faltete er es auseinander. Begann zu lesen. Nahm die breite, schlecht gedruckte Schrift wahr, die Unmenge an Ausrufezeichen – runzelte die Stirn, las weiter, schüttelte den Kopf – fing an zu lachen, doch das Lachen brach ab.
    Einen Versuch war es wert.
    Und etwas anderes hatte er nicht.
    Er las es noch einmal, faltete das Papier wieder so, wie es vorher gewesen war, und schob es in den Umschlag zurück. Stand auf. Wie Sträflinge an Gitterstäben rüttelten die ersten Lichtstrahlen am grauschwarzen Horizont. Joe steckte sich den Umschlag wieder in die Tasche, klopfte leicht darauf. Er fand einen öffentlichen Mülleimer, wischte Mos Waffe sauber und ließ sie in den Müllsack gleiten.
    Strebte dem fernen Sonnenaufgang entgegen.

IM ÜBERGANG
    Der Brief aus Amerika
    Morgendämmerung, die Sonne eine ferne Lampe, die oben im Himmel schwankend getragen wurde. Regen fiel, wusch die Stadt, verlieh den rotgrauen Backsteinen einen Glanz von Vitalität, einen Überzug aus Moos. Joe hatte sich bei einem Nachtverkäufer einen Kaffee gekauft, Styroporbecher, der Kaffee schwarz, zwei Stück Zucker, trank ihn mit einer Zigarette – ärztlicher Rat. Die Hand mit der Zigarette zitterte.
    Frühmorgens, London. Zu Fuß war er zurück zur Edgware Road gegangen. Autos brausten im Berufsverkehr über seinem Kopf. Er hatte einen Friseursalon aufgesucht, neben dem gerade ein Zauberladen aufmachte. Erledigte seine ganzen Einkäufe auf der Hauptstraße – neue Kleider, neue Frisur, neue Haarfarbe, trug Brille, einen Anzug, einen Aktenkoffer, ein Menjoubärtchen. Am Schlips eine Krawattennadel. Eine Rolex, gefälscht und schwer an seinem Handgelenk. Er betrachtete sich in einem Schaufenster und nickte dem Fremden zu. »Du wirst deine Sache gut machen«, sagte er zu ihm. Der Fremde gab dieselben Worte zurück, lautlos.
    Sein letzter Besuch galt einer Bank, wo er mit der schwarzen Karte Geld abhob. Ein schwarzes Taxi zum Flughafen, der Fahrer geschwätzig – »Also ich, ich komme aus Bagdad. Waren Sie da schon mal?«
    Joe sagte: »Nein.«
    »Wunderbare Stadt«, sagte der Fahrer und seufzte. »Wenn ich wieder nach Hause gehe, nehme ich ein schwarzes Taxi mit.«
    Die Fahrt war langsam, die Straßen waren voll, die Sonne versuchte immer noch, sich durchzukämpfen. Der Regen nieselte auf die Fenster des Taxis. Die Welt jenseits davon war verschmiert.
    Rote Backsteinhäuser, stoisch im Regen. Verkehrsampeln blinkten gemächlich. Schulkinder überquerten die Straße. Joe konnte riechen, dass Kaffee gekocht und Brot gebacken wurde, in den Straßen sah er Wälder von dunklen Schirmen sprießen. Briefträger marschierten entschlossen von Haus zu Haus, wie Soldaten, die eine Suche durchführten. Blauhaarige Damen öffneten Türen, schalteten in Hospiz- und Wohltätigkeitsläden das Licht an. Joe kurbelte das Fenster einen Spalt weit auf, ließ den Geruch von Regen herein, schloss die Augen. Der Taxifahrer sagte: »In meinem Land ist der Regen anders.«
    Joe antwortete nicht.
    Wie kleine Wellen breitete sich Outer London von dem Taxi aus. Niedrige Häuser, Doppeldeckerbusse, irgendwo in der Ferne die Klingel einer Schule, irgendwo in der Ferne das Läuten von Kirchenglocken, irgendwo in der Ferne, sich nähernd, das Geräusch von Flugzeugen, landenden und startenden.
    »Bei mir zu Hause«, sagte der Taxifahrer, »ist es sehr sonnig, nicht wie hier.«
    Joe beließ es dabei. Sie kamen nach Heathrow, sahen Mechaniker in blauen Overalls um einen stehenden Düsenjet wuseln, uniformierte Stewardessen auf den Shuttlebus warten, ein Zweierteam den Müll wegschaffen.
    »Riecht nach Öl«, sagte der Taxifahrer und grinste plötzlich. »Genau wie bei mir zu

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