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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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seinem Inneren. Die Stimmen lauter – näher kommend. »Meine Anweisungen –«, sagte er und überließ es ihr, den Satz zu vollenden.
    »Alle Geldeingänge von Mr. Papadopoulos in Paris sollen in die Verwaltung des Mitgliederkontos gehen«, sagte Millie fröhlich. »Alle Anfragen, Fanpost, Wünsche und Sonstiges gehen direkt an Mr. Papadopoulos in –«
    »Paris?«
    »Ja.«
    Ringel, Ringel, Reihe, dachte Joe. Das war ein geschicktes Arrangement. Noch eine Sackgasse. Außerdem – Papa D. hat mich hingehalten.
    »Irgendwelche Fanpost?«
    »Eigentlich nicht, Mr. Longshott.«
    »In letzter Zeit irgendwas gekommen?«
    »Nur das hier. Ich habe es noch nicht weitergeleitet.«
    Sie gab ihm einen Umschlag. Briefmarke der Vereinigten Staaten, zwei Wochen zuvor abgestempelt. Joe steckte ihn in die Tasche. »Bei näherem Nachdenken«, sagte Joe, »werde ich die Vereinbarung, glaube ich, so lassen, wie sie ist. Sie machen Ihre Sache großartig, Millie.«
    Sie errötete. Und – »Könnten Sie –?«, sagte sie. Ein Taschenbuch tauchte unter dem Tisch auf – abgegriffen, mit Eselsohren. Einsatz: Afrika.
    Joe: »Gibt es von hier einen Hinterausgang?«
    Millie: »Ja, gleich hier durch.«
    Rennende Schritte draußen im Gang. Joe schloss die Tür, drehte den Schlüssel um. »Problem mit dem Konto«, sagte er, achselzuckend. Stift auf ihrem Schreibtisch. Schlug das Buch auf dem Deckblatt auf, schrieb Für Millie, die sich um mich gekümmert hat und signierte es mit einem schwungvollen – Mike Longshott .
    Klopfen an der Tür. »Folgen Sie mir«, sagte Millie. Öffnete eine zweite Tür, führte ihn in einen schmalen Bedienstetenkorridor, den sie entlangging, schob stählerne Feuertüren auf und entließ ihn in die Nacht.
    »Leben Sie wohl, Mr. Longshott«, sagte sie.
    »Leben Sie wohl, Millie. Danke.«
    In ihrem Lächeln lag etwas Wehmütiges.
    Joe trat hinaus, und die Feuertüren schlossen sich hinter ihm mit einem Geräusch wie dem letzten Schlag einer Trommel.

Ein Blatt Papier, wie eine Ziehharmonika gefaltet
    Er saß auf einer Bank, und die Nacht zog wie weichgezeichnet an ihm vorbei.
    Einfach dazusitzen tat gut. Er hatte das Ende der Straße erreicht – es gab keine Spur mehr zu verfolgen, keinen Ort mehr, den er aufsuchen musste. Die Freiheit machte ihn benommen. In seinem Körper fochten Opiumdämpfe, Alkohol, Nikotin und Kaffee epische Kämpfe aus. Als er die Augen schloss, hatte er das Gefühl zu fallen. Dunkelheit tat sich unter ihm auf. Er hatte den Wunsch, loszulassen, sich hineinfallen zu lassen. Als er die Augen aufschlug, sah er unzusammenhängende Bilder: die Frau auf der Bühne; Rick, dem die gitterförmigen Schatten aufs Gesicht fielen; der Mann vom KGG, der über Opium sprach, während er in seinem Kaffee rührte; Madam Sengs Hand auf seinem Gesicht, ihre Augen feucht; Mos leeres Büro, die Reihe von Büchern auf seinem Regal, die so lässig dastanden wie Guerillasoldaten bei der Parade; die Frau, die ihn am Flughafen in Bangkok angesprochen hatte, als sie die Abflugtafel nach einem Flug absuchte, der nie kommen würde.
    Zu seinem Hotel konnte er nicht zurück – die Männer vom KGG würden ihn dort erwarten. Sie hatten ihn im Blue Note aufgespürt – es hatte zwei Warnungen gegeben, guter Bulle, böser Bulle – mit einer dritten rechnete er nicht.
    Er konnte nach Vientiane zurückgehen. Das erschien ihm jetzt sehr weit weg, ein heißer, trockener Ort, der sich in der Regenzeit zu einem üppigen tropischen Garten verwandelte, in dem die staubigen Straßen von dicken Regentropfen überschwemmt wurden, unbefestigte Gehwege im Matsch versanken, die Saison für Auberginen zu Ende war und Moskitos sich um Abflussrinnen herum sammelten, um Tratsch und Malaria weiterzugeben. Er hatte immer noch die schwarze Kreditkarte: Er konnte überallhin gehen.
    Überallhin, nur nicht über den Regenbogen. Vielleicht stimmte das aber auch nicht. Vielleicht ging das Lied ja umgekehrt. Und das Problem bestand darin, von dem Ort zurückzukehren, wo die Wolken weit hinter einem lagen. Manchmal kann man nie mehr zurück, dachte er. Mehr als alles andere wollte er den Fall lösen, der ihm Substanz verlieh, Kontur, einen Hintergrund, ein Drehbuch. Er konnte überallhin gehen und doch nirgendwo sein. Er konnte versuchen, Antworten auf dem Grund eines Glases zu finden, doch selbst die gingen aus.
    Es tat ihm leid, all diese Türsteher zusammengeschlagen zu haben; all die zusammengeschlagenen, erschöpften Türsteher der Welt, all die

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