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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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am Empfang folgte Joes Blick, und seine Augen gingen noch etwas weiter auf, und er sagte: »Sind Sie zu der Convention gekommen?«
    »Hat sie schon angefangen?«
    »Die Voranmeldung war heute – gestern, sollte ich sagen.« Draußen war die Nacht wie ein riesiger Affe von der Feuerkraft des Morgens besiegt worden und zu Boden gegangen. An der Rezeption war sonst niemand, außer dass da jemand war, was Joe jedoch nicht zugeben wollte. Noch nicht. Erst als er sich bewegte, schienen die Schatten in den staubigen Ecken des Raums sich mit ihm zu bewegen, und Gestalten tauchten auf, nur um sich, sobald er den Blick auf sie richtete, in alltägliche Gegenstände zu verwandeln. Vielleicht war er einfach nur müde.
    Das hoffte er.
    »Ihr Schlüssel«, sagte der Mann hinter dem Empfangstresen. Über seinem Kopf zeigte eine Reihe runder Uhren die Zeit in Tokio, Los Angeles, Kabul und Bombay sowie in New York. Allerdings war die New Yorker Zeit bei 8.46 Uhr eingefroren. »Wann machen die auf?«, fragte Joe, mit einer ruckartigen Daumenbewegung auf den leeren Tisch an der Tür deutend.
    »In zwei Stunden.«
    Er fühlte sich nicht müde. »Haben Sie eine Bar?«, fragte er.
    »Da durch, aber – «
    Joe nahm seinen Schlüssel.
    »Wann ist Ihre Schicht zu Ende?«, fragte er.
    Der Mann zuckte die Schultern. Seine Pupillen waren erweitert. »Gar nicht«, sagte er.
    Joe zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zum Aufzug. »Gehen Sie sparsam mit dem Zeug um«, sagte er. Die Schatten folgten ihm mit tonlosem Geflüster.
    In dem Zimmer ließ er sich ein Bad einlaufen. Das Geräusch des fließenden Wassers war wohltuend. Durch die Fensterrahmen sickerte Tageslicht herein. Er drehte das Wasser ab, ging zum Bett und setzte sich hin. Er musste eingeschlafen sein, denn als er die Augen aufschlug, war es viel heller, und im Bad hatte das Wasser sich abgekühlt, und der Schaum war weg, nur ein trüber Film bedeckte noch die Wasseroberfläche. Joe öffnete das Fenster und ließ Luft herein, und die murmelnden Stimmen verstummten. Er zündete sich eine Zigarette an und ließ die Wanne erneut volllaufen.
    Babylonischen Minaretten gleich reckten sich draußen vor dem Fenster Türme gen Himmel. Das Bett war wie bei der Armee gemacht, so dass man, wenn man Lust hatte, eine Münze darauf hüpfen lassen konnte. Joe hatte keine. Das Bett sah unberührt aus. Das tat es immer, auch wenn er darauf eingeschlafen sein musste. Schlaf war für Joe bloß eine Abwesenheit.
    Eine khakibraune Decke war ordentlich und präzise über das Bett gelegt und am Rand unter die Matratze gesteckt worden. Joe sah wieder aus dem Fenster. Ihm war, als hätte es draußen schwebende Autos geben müssen, Männer mit Filzhüten und Raketenrucksäcken, Gänge, die sich spinnwebartig von den entfernten Spitzen der Türme ausbreiteten. Außerdem Frauen in silbernen Anzügen, die sich eine Sendung auf Tri-vid ansahen, bevor sie sich ein kleines Mittagessen gönnten, die Art, die, riesengroße unterwürfige Roboter im Gefolge, als Drei-Gänge-Pillen daherkam. Stattdessen sammelte ein brauner Mann im Arbeitsoverall vor einem Sexkino mit einem langen Stock Abfall auf, und die Autos standen, Stoßstange an Stoßstange, vor einer Ampel, die auf Rot abonniert zu sein schien. In der Ferne ging eine Sirene. Man hörte Autohupen, eine zuschlagende Tür, jemanden, der lauthals in amerikanischem Englisch fluchte. Joe schloss das Fenster, drückte die Zigarette aus und entkleidete sich, wobei er Krawatte und Schnurrbart und Victor »Ricky« Laszlo ablegte.
    Das Badewasser war warm und schaumig. Mit dem Kopf lag er auf der angeschlagenen weißen Beschichtung der Wanne. Seine Zehen ragten wie ein bei Ebbe freiliegendes gezacktes Felsriff aus dem Wasser. Mit den Ohren unter der Wasseroberfläche war es sehr still. So könnte ich ewig liegen, dachte er. Er schloss die Augen. Kein Gedanke, kein Geräusch, kein Anblick, kein Geschmack, kein Geruch, keine Berührung. Einen Moment lang war niemand da, nur das leere Bad, in dem das Wasser sich mit einer Geschwindigkeit von null Komma eins fünf Grad pro Minute abkühlte.
    Dann kam der Geschmack zurück: aschige Würze und Flugzeugessen und der Phantomgeschmack von Kaffee, und Joe blinzelte und erhob sich aus dem Wasser, das wie eine Segnung von seiner Haut abglitt.

Auf den Seiten eines Buchs
    Zwei Leute, ein Mann und eine Frau, saßen unten hinter dem Anmeldetisch. An der Rezeption war immer noch derselbe Mann, den Blick aus müden Augen in die

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