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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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Gelenke tun ein bisschen weh«, sagte ich. »Da hilft das warme Wasser.«
    Sie zuckte die Achseln.
    Im Schlafzimmer angekommen, schloss ich hinter mir die Tür.
Heute,
sagte ich mir,
halte ich ausnahmsweise absolut nichts für selbstverständlich.
Und dann tat ich etwas, das ich seit meiner Kindheit nicht mehr getan hatte: Während ich mich auszog, dachte ich an nichts anderes als daran, wie ich jedes einzelne Kleidungsstück ablegte. Achtsam und bewusst knöpfte ich mein Hemd auf, löste die Schnürsenkel und hängte meine Hose sorgfältig in den Schrank. Indem ich so den üblichen Automatismus abstellte, existierte ich tatsächlich nur noch in der Gegenwart. Nichts war mehr von Bedeutung als jeder einzelne Augenblick.
    Als ich unter der Dusche stand, genoss ich einfach, wie das Wasser auf meine schmerzenden Schultern prasselte. Es war warm und tröstlich, und ich war unendlich dank-bar dafür, dass ich noch selbst für dieses Erlebnis sorgen konnte.
    Plötzlich klopfte es an die Tür.
    »Alles in Ordnung, David?«, hörte ich die Stimme meiner Frau sagen.
    »Ja«, erwiderte ich, »danke, Schatz. Mir geht’s gut.«
    Es ging wirklich einzig und allein um den Zweck und darum zu lernen, mit dem umzugehen, was man im Leben zugeteilt bekommen hat.

[home]
    Was ist wohl schöner,
die Bewegung oder die Ruhe einer Katze?
    Elizabeth Hamilton
    16
    D avid, können Sie bald vorbeikommen? Saul sieht gar nicht gut aus. Ich glaube, da entwickelt sich womöglich eine Sepsis.«
    Es war Mary, die mich auf meinem Mobiltelefon erreicht hatte, als ich gerade unterwegs zu einem Forschungstreffen an der Universität war. Zu den vielen Dingen, die ich an Mary schätzte, gehörte die Tatsache, dass sie nie überreagierte. Wenn sie sagte, ein Patient sehe schlecht aus, dann änderte ich meine Pläne und machte mich auf den Weg zum Heim, wie ich es auch an jenem warmen Frühlingsnachmittag tat. Das Forschungstreffen konnte warten.
    Als ich aus dem Aufzug trat, sah ich einen großen, gut gekleideten Mann am Stationszimmer stehen, in ein intensives Gespräch mit Mary vertieft. Obwohl er mir den Rücken zuwandte, wusste ich sofort, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte. Es war wohl sein Tonfall.
    Ich ging um den Tisch herum und warf den beiden einen kurzen Gruß zu, bevor ich Sauls Akte aus dem Regal zog. Während ich die neuesten Laborwerte studierte, lauschte ich mit einem Ohr der Diskussion, die vor mir ablief.
    »Mary, meine Mutter ist momentan in der Klinik wesentlich besser aufgehoben«, sagte der Mann.
    Nun fiel mir wieder ein, um wen es sich handelte. Es war der Sohn von Iris Duncan, den ich vor mehreren Monaten in der Klinik kennengelernt hatte, als sie dort mit einer Lungenentzündung eingeliefert worden war. Damals war ihr Zustand nicht weiter besorgniserregend gewesen, und sie hatte sich ziemlich rasch erholt, aber ich hatte beträchtliche Zeit damit verbracht, mit ihrem Sohn über ihre schlechte Prognose und die geeignete Pflege zu sprechen.
    Er war voller Fragen gewesen, was nur verständlich war. Schließlich litt seine Mutter an einer ernsten, fortschreitenden Krankheit, und da hätte jeder nach Antworten gesucht. Er hatte sich jedoch sichtlich noch nicht damit abgefunden, dass seine Mutter nicht mehr geheilt werden konnte. Deshalb befand er sich in einer Art ständigem Verhandlungszustand, in dem er nach jedem Strohhalm griff. »Wie wäre es, wenn wir das mal versuchen?«, war sein Lieblingssatz, und wenn ich ihm erklärt hatte, wieso eine bestimmte Taktik nicht funktionieren konnte, dann schlug er sofort eine andere vor. Als ich nun hörte, wie er mit Mary diskutierte, wurde mir klar, dass er seine Haltung nicht im Mindesten geändert hatte.
    »George«, sagte Mary, »Ihrer Mutter geht es wirklich nicht gut. Ich glaube, da braut sich wieder eine Lungenentzündung zusammen, und angesichts der Infektion ist sie noch verwirrter als sonst. Sind Sie sicher, dass wir sie wieder in die Klinik schicken sollen? Wir können sie nämlich auch hier im Heim mit Antibiotika behandeln, wo alle sie kennen und wo sie mit der Umgebung vertraut ist.«
    Dieses Angebot klang vernünftig, und einen Augenblick schien George tatsächlich darauf einzugehen. Schließlich war die Alternative, seine Mutter bei uns zu behalten, sicher in ihrem Interesse.
    Er drehte sich zu mir um. »Dr.Dosa, nicht wahr?«
    »Guten Tag, George«, sagte ich, froh, dass Mary seinen Namen genannt hatte.
    »Freut mich, Sie wiederzusehen. Werden Sie meine Mutter behandeln,

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