Oscar
geblieben, aber dann ist er sofort zu uns gekommen.«
An Robins Gesicht war zu sehen, wie beeindruckt sie noch immer war. Ihrer Mutter ging es offenbar ebenso.
»Ich habe ihn hochgenommen und auf meinen Schoß gesetzt«, fuhr Robin fort. »Das hat er auch kurz zugelassen, aber dann ist er gleich aufs Bett gesprungen und hat sich dort niedergelassen. Wenige Stunden später starb mein Vater dann.«
»Vorher ist aber noch etwas Merkwürdiges passiert«, sagte Joan. »Eine Stunde vor Larrys letztem Atemzug kam eine Hospizschwester herein, um ihn zu untersuchen. Als sie fertig war, meinte sie, wir könnten ruhig mal einen Spaziergang machen, weil es wohl noch eine Weile dauern würde. Als sie gegangen war, haben wir uns angeschaut, aber keine von uns beiden wollte das Zimmer verlassen. Wir fanden, dass wir uns nach Oscar richten sollten. Das war auch gut so, denn er hat gespürt, wie es wirklich stand. Hätte er nicht auf dem Bett gelegen, dann hätten wir womöglich auf die Schwester gehört und wären im entscheidenden Moment nicht da gewesen.«
»Das heißt nicht, dass wir dem Kater mehr als der Schwester geglaubt haben«, sagte Joan. »Es ist nur so … mit Oscar war es etwas Besonderes. Er wirkte so überzeugt von dem, was er tat, so klar.«
Robin fasste zusammen: »Dieses schöne Wesen gab uns ein Zeichen. Es wäre falsch gewesen, das zu ignorieren.«
Auf der Heimfahrt klang mir Joans Kritik am Verhalten vieler meiner Kollegen im Ohr. Eigentlich hätte ich mich freuen sollen, weil ich einen neuen Beweis für Oscars erstaunlichen Spürsinn gefunden hatte, aber was Joan über die Fixierung auf Fachbegriffe und das Bedürfnis der Patienten und ihrer Angehörigen gesagt hatte, etwas über den Umgang mit der Krankheit zu erfahren, berührte mich auf eine ganz bestimmte Weise.
Mit diesen Dingen hatte ich selbst meine Erfahrungen gemacht, weshalb ich unweigerlich an meine eigene Krankheit dachte, die sich erst nach einer Weile als Arthritis entpuppt hatte. Anfangs war ich erleichtert gewesen, als ich endlich den Namen des Problems erfahren hatte, das sich so stark auf mein Leben auswirkte. Nun glaubte ich zu wissen, was ich vor mir hatte. Ich konnte meinen persönlichen Krieg gegen einen bekannten Gegner führen. Wie eine Art Krieg fühlte es sich nämlich an. Ich würde diese Krankheit bezwingen, und wenn ich bei dem Versuch ums Leben kam.
Aber Joan hatte recht. Letztendlich ging es nicht um den Namen der Krankheit, sondern um das Bedürfnis, weiter ein normales Dasein zu führen. Es ging darum, trotz der Diagnose in jedem Augenblick voll und ganz zu leben. Inzwischen litt ich schon zehn Jahre an Arthritis, und die funktionalen Einschränkungen, die das mit sich brachte, hatten mich gezwungen, mein Verhalten zu verändern. Ich konnte nicht mehr wie früher Tennis und Basketball spielen oder Ski fahren. Dennoch war ich noch immer in der Lage, jeden Morgen aufzustehen und das zu tun, wodurch ich unabhängig von der Hilfe anderer Menschen blieb. Ich konnte mein Hemd zuknöpfen und die Schuhe zubinden. Vor allem aber konnte ich noch immer meine Kinder die Treppe hinauf- und hinuntertragen, während ich gefürchtet hatte, das schon am Tag, an dem mein Sohn geboren wurde, nicht mehr tun zu können. Eines Tages würde ich dazu vielleicht nicht mehr fähig sein, das war mir bewusst, aber ich war für das dankbar, was mir momentan möglich war.
Heute kann ich es tun, und darauf kommt es an.
An diesem Satz richtete ich mich auf.
Als ich nach Hause kam, fragte meine Frau sofort, wie das Gespräch gelaufen sei.
»Nicht schlecht«, sagte ich. »Joan und ihre Tochter sind wirklich nette Leute. Es war allerdings nicht leicht für sie, an all das zurückzudenken. Sie haben Larry wohl sehr lieb gehabt.«
»Und Oscar? War er diesmal auch wieder dabei?«
Ich nickte. »Weißt du, als ich diese Geschichten zuerst hörte, da hielt ich sie für völlig überzogen. Aber seit ich der Sache nachgehe, stellt sich heraus, dass er fast jedes Mal dabei ist, wenn jemand stirbt. Den Angehörigen hat das anscheinend immer gutgetan.«
»Vielleicht sollte man Katzen für den Einsatz im Pflegeheim trainieren, dann würdet ihr Ärzte euch nicht mehr so wichtig nehmen!«
Ich verdrehte die Augen und ging zur Tür.
»He, wo gehst du hin?«, fragte meine Frau. »Ich will noch mehr hören.«
»Nach oben, um mich unter die Dusche zu stellen.«
Meine Frau sah mich verblüfft an. So etwas tat ich am späten Nachmittag normalerweise nicht.
»Meine
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