Oscar
wenn sie in die Klinik kommt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Für unsere Patienten in der Klinik ist diese Woche jemand anders zuständig. Aber ich kenne Ihre Mutter, George, und ich bin mit Mary einer Meinung, dass ihre Demenz sich ständig verschlimmert. Normalerweise sitzt sie gern hier draußen und begrüßt mich immer fröhlich, aber in letzter Zeit hat sich das geändert. Wenn Sie wollen, kann ich mit der Kollegin sprechen, die Ihre Mutter momentan behandelt. Ich glaube, es ist wirklich das Beste, wenn sie hierbleibt.«
George hob abwehrend die Hände. Offenbar hatte er sich doch bereits entschieden. Als er davongegangen war, sah Mary mich an.
»Woher kennen Sie ihn?«, fragte sie.
»Wir haben uns vor ein paar Monaten kennengelernt, als seine Mutter in der Klinik war. Ich glaube, einmal haben wir uns da fast eine Stunde unterhalten. Er hatte unglaublich viele Fragen, was die Pflege seiner Mutter anging. Genauer gesagt, wollte er praktisch alles wissen.«
Mary lachte. »Ja, er kümmert sich sehr um sie. Selbst wenn er auf Dienstreise ist, ruft er täglich hier an, um sich zu erkundigen, wie es ihr geht, ob sie etwas gegessen hat und ob sie genügend schläft.« Sie seufzte. »Manchmal ist das nervig, aber, ehrlich gesagt, wenn es bei mir mal so weit ist, sind meine Kinder hoffentlich auch so besorgt um mich.«
»Soweit ich weiß, habe ich damals mit ihm über das Thema Hospizpflege gesprochen«, sagte ich. »Wie steht es damit?«
»Dafür ist er noch lange nicht bereit, David.«
Mag sein,
dachte ich,
aber seine Mutter vielleicht schon.
»Wie geht es Mrs.Duncan eigentlich?«, fragte ich.
»Da gibt’s nichts Neues. Laut dem Röntgenbild hat sie wieder Lungenentzündung, und außerdem ist sie verwirrt.«
»War Oscar schon bei ihr?«
Mary hob die Augenbrauen. »Von allen Patienten hier auf der Station ist sie die, vor der Oscar am meisten flüchtet. Sie jagt ihn nämlich gern. Ständig versucht sie, ihn am Schwanz zu ziehen. Deshalb weiß ich nicht recht, ob Oscar da sein will, wenn es bei ihr so weit ist.«
»Will George immer noch, dass in jedem Fall alle Wiederbelebungsmaßnahmen stattfinden?«
»So ist es.«
»Ich erinnere mich noch daran, wie ich sie drüben in der Klinik das erste Mal gesehen habe«, sagte ich. »Trotz ihrer Krankheit wirkte sie unglaublich lebhaft.« Inzwischen war sie jedoch nur ein Schatten ihrer selbst.
»Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, was diese Krankheit den Menschen antut«, sagte Mary, die offenbar dasselbe dachte. »Ich glaube, Iris ist sogar schon länger hier als ich. Zuerst war sie natürlich im Erdgeschoss untergebracht, und man hat mir erzählt, dass manche Besucher anfangs dachten, sie würde zum Personal gehören. Sie wirkte so gebildet.«
»Und sie war äußerst sprachgewandt«, fügte ich hinzu.
»Stimmt. Als ich sie unten kennenlernte, hat sie ein paar Helferinnen, die noch nicht gut Englisch konnten, beim Lernen geholfen. Zudem war sie in ihrer Kirche als Pfarrerin ordiniert. Sie hat gern über ihren Glauben gesprochen.« Mary sah mich nachdenklich an. »Ich fand es immer seltsam, dass sie trotz ihres Zustands noch Englisch unterrichten und Bibelverse rezitieren konnte. Manches vergisst man offenbar nicht so schnell.«
»Während Sie offenbar ganz vergessen haben, weshalb ich herkommen sollte«, sagte ich.
»Ach ja, wegen Saul!«, sagte Mary. »Tja, den müssen wir heute vielleicht noch in die Klinik schicken. Schauen Sie ihn sich doch bitte mal an. Übrigens ist Barbara bei ihm. Sie macht sich große Sorgen.«
Sauls Unterlagen in den Händen, ging ich auf sein Zimmer zu. Hinter mir hörte ich, wie Mary beim Transportdienst anrief, um Iris Duncan ins Krankenhaus bringen zu lassen.
Ich brauchte nur einen Blick auf Saul zu werfen, um zu verstehen, warum Mary mich gerufen hatte. Er saß nicht wie üblich in seinem Sessel, sondern lag im Bett. Der Fernseher war ausgeschaltet.
In Sauls Augen war kaum mehr Leben; er schien nicht einmal in der Lage zu sein, sie einige Sekunden lang offen zu halten. Seine Tochter Barbara saß am Bett und hielt seine Hand.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich.
Barbara stand auf und sah mich mit kummervoller Miene an. »Nicht gut, Doktor«, sagte sie. »Mary hat mich angerufen, ich soll bei ihm sein.«
Sie trat zur Seite, damit ich ihren Vater untersuchen konnte. Wie erwartet, war dessen Blutdruck sehr niedrig. Ich fühlte ihm den schwachen Puls und hörte seine Lunge ab. Als ich mir seine Beine anschaute, war klar,
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