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Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Mann
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sich, wenn er den Kopf drehte.
    Newbury hatte Mitleid mit Ashford – aber nicht, weil dies aus ihm
geworden war, sondern wegen der Auswirkungen auf sein Leben. Der Mann stand
draußen in der Kälte und war nur durch eine dünne Scheibe von Frau und Kindern
getrennt. Doch diese Scheibe war ein unüberbrückbarer Abgrund, eine Barriere,
die Ashford nie mehr überwinden konnte. Es musste die reine Folter sein, seine
Frau und die Kinder zu beobachten und sie nicht berühren zu dürfen, sie nicht
festhalten zu dürfen, nicht mehr der Ehemann und Vater sein zu können. Für die
Kinder war der Vater tot, und dieses Ding würden sie als Ungeheuer empfinden,
das ihren schlimmsten Albträumen entsprungen sein könnte. Ashford wusste das
und ersparte ihnen das Entsetzen.
    Der ehemalige Agent drehte sich um und betrachtete die fröhliche
Szene im Haus. Newbury konnte nicht erkennen, was sich hinter der grimmigen
Miene abspielte, doch er war sicher, dass irgendwo in dem Mann immer noch tiefe
Gefühle lebten. »Danke, Newbury«, erwiderte Ashford mit seiner metallisch
knirschenden Stimme. »Ich werde das Richtige tun.«
    Newbury nickte knapp, drehte sich um und kehrte über den kurzen Weg
zu der wartenden Droschke zurück. Ashford blieb am Haus und widmete sich wieder
seiner privaten Hölle. Als der Agent das Gartentor erreichte, rief Ashford ihm
noch etwas nach: »Newbury.« Eine kurze Pause. »Methusalem.«
    Newbury drehte sich neugierig um, doch Ashford war schon im dichten
Morgennebel verschwunden.
    Newbury hustete ein wenig, als er eine Weile später Miss Hobbes
in den Londoner Docks aus der Droschke half. Die Sonne hatte ihre Pflicht
erfüllt und den Nebel größtenteils verbrannt. Nur einige dünne Schwaden
klammerten sich noch verbissen an die Masten der unzähligen Schiffe, die im
Hafen festgemacht hatten. Die Docks wimmelten vor Booten in allen Formen und
Größen; von Dampfschiffen bis zu Jachten und Schonern war alles vertreten. Auf
dem Kai dagegen tummelten sich die Menschen.
    Veronica rümpfte die Nase. Die Docks verströmten einen ganz eigenen,
typischen Geruch. Lachend entlohnte Newbury den Kutscher und entließ ihn. Dann
bot er Veronica den Arm an. »Meine liebe Miss Hobbes, ich schlage vor, wir
beginnen mit den größten Schifffahrtslinien und versuchen, das Ziel des Doktors
zu finden.«
    Die Büros der Linien waren samt und sonders klein und schäbig,
schwach beleuchtet und so gut wie nicht möbliert. Die Ermittler der Krone
mussten in einer Schlange warten, während Händler, Geschäftsleute und Forscher
Passagen zu einer großen Zahl von Zielen buchten. Es waren exotische Orte in
China, Städte auf dem Kontinent, Gegenden in Indien und Afrika. Die Fahrgäste
bezahlten für ihre Kojen auf den großen Dampfern, die im Laufe der Woche in See
stechen sollten. Einige Stunden vergingen, in denen sie unzählige Angestellte
befragten, die einander so ähnlich waren, dass Newbury schon annahm, sie seien
derselben Gussform entsprungen. Die Nachfragen ergaben rein gar nichts,
nirgends war eine Spur des Flüchtigen zu entdecken. Niemand, der Knox hieß oder
auf den die Beschreibung passte, hatte für diesen oder einen anderen Tag der
Woche eine Schiffspassage gebucht. Newbury fürchtete schon, er habe sich
geirrt, und die Mutmaßungen, die er in Purefoys Wohnung angestellt hatte, seien
falsch – oder, noch schlimmer, dass Knox eine falsche Fährte gelegt und ihn
übertölpelt hatte. Hatte das Ass der Kelche etwa eine ganz andere Bedeutung?
Zweifelnd zermarterte er sich das Hirn.
    Schließlich kamen Newbury und Veronica überein, am Kai
entlangzulaufen und auf Inspirationen zu hoffen. Newbury war nicht eben
zuversichtlich, dass sie einen klugen Gedanken fassen würden. Immer noch malte
er sich aus, ein großes Chaos stünde unmittelbar bevor, und seine geistigen
Bilder wurden mit jedem Mal gewalttätiger und umfassender. Er fühlte sich wie
inmitten eines gewaltigen Strudels, im Auge eines Sturms, von wo aus er zusehen
musste, wie ringsherum alles in Stücke ging. Purefoy war tot, Knox lief frei
herum. Vielleicht könnte er nun doch noch Charles’ Hilfe brauchen, doch dazu
war es wohl zu spät.
    Sie schlenderten am Wasser entlang, wichen Kisten mit stinkendem
Fisch, feiner Seide aus Asien, Gewürzen, Tabak und allen anderen Waren aus, die
von den Schiffen am Kai

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