Osiris Ritual
Spiegels klemmte die sepiafarbene Fotografie zweier
Frauen, davor lag ein Zylinder. In einem kuppelförmigen Käfig, der an der Decke
hing, ï¬atterte eine unglückliche Taube mit den Flügeln.
»Was gibt es?« Die Männerstimme klang
barsch und ausgesprochen englisch.
Newbury trat in den Raum ein, Veronica folgte ihm. Der Mann â es
handelte sich natürlich um Alfonso â lümmelte in Hemdsärmeln und Hosen auf
einem Stuhl und paffte lässig eine lange Zigarette. Aus den Nasenlöchern quoll
der Rauch hervor. Mürrisch blickte er Newbury an. »Die Vorstellung ist vorbei.
Sie haben sich sicher in der Tür geirrt.« Er studierte
wieder seine Stiefel.
Newbury lächelte. Der italienische Akzent des Mannes war spurlos
verschwunden und dem leiernden Tonfall der Home Counties gewichen. »Ganz im
Gegenteil. Ich habe Sie aufgesucht, um Ihnen meine Bewunderung auszudrücken,
Mister Alfonso. Ich bin Sir Maurice Newbury, und dies ist meine Kollegin Miss
Veronica Hobbes.«
Als er Newburys Ehrentitel hörte, nahm der Zauberer Haltung an. Er
blickte zu Veronica und fasste sie wohl erst jetzt richtig ins Auge. »Sir
Maurice, bitte verzeihen Sie mir. Sie verstehen sicher, dass ein Haus wie
dieses nicht sehr oft Gäste von so hohem Stand begrüÃen darf.«
Er lächelte breit, nahm die Stiefel von dem Hocker, auf dem sie gelegen hatten,
und gab Newbury die Hand. Der Agent schlug kräftig ein. »Was um alles in der
Welt hat Sie denn heute Abend ins Archibald verschlagen?«
»Sie, Mister Alfonso. Wie ich hörte, hat Ihre Darbietung in den Home
Counties einiges Aufsehen erregt, und nun wollte ich sie mir selbst ansehen.«
»Wirklich? Nun ja, vielen Dank für Ihr Interesse. Wie fanden Sie
denn die Vorstellung? Es war doch hoffentlich keine Enttäuschung?«
»Nein, keineswegs. Sie war höchst beeindruckend. Besonders die
Kartentricks haben mir gefallen. Ich habe mich sehr bemüht herauszufinden, wie
Sie so viele Karten so leicht beeinï¬ussen konnten.«
Alfonso grinste. »Ach, das sind Taschenspielertricks. Es wundert
mich, dass sich ein Mann von Ihrem Stand mit solchen Kleinigkeiten abgibt.«
Veronica lachte, und Newbury stellte erfreut fest, dass sie das
Stichwort aufgenommen hatte. »Ich dagegen war sehr erstaunt, wie elegant Sie
die junge Frau haben verschwinden lassen. Ihre Kunst hat mich sehr beeindruckt,
Mister Alfonso. Die Frau hat sich ja förmlich in einer Rauchwolke aufgelöst!«
Newbury gab sich ein wenig unbedarft. »Ja, genau! Aber nun sagen
Sie, was ist denn eigentlich aus dem armen Mädchen geworden? Sie haben es ja
hinterher nicht wieder erscheinen lassen. Ich hoffe doch, es ist nicht für
immer verschwunden? Wie haben Sie das nur geschafft?«
Lächelnd schüttelte Alfonso den Kopf. »Sir Maurice, Sie werden doch
hoffentlich nicht von mir erwarten, dass ich meine Geheimnisse preisgebe. Ich
habe viele, viele Jahre daran gearbeitet, meinen Auftritt zu vervollkommnen,
und viele Nachahmer gefunden, die bisher allerdings allesamt keinen Erfolg
hatten. Ich habe durchaus die Absicht, meine Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen.«
Veronica runzelte die Stirn. »Aber was ist mit dem Mädchen?«
Alfonso lachte. »Das Mädchen? Es ist wahrscheinlich inzwischen schon
auf dem Heimweg. Meine Assistentin hat ihm das Geld für eine Droschke gegeben.« Er wedelte mit der Zigarette. »Ich fürchte, ich muss mich
jetzt anderen Dingen zuwenden. Morgen habe ich wieder einen Auftritt, auf den
ich mich vorbereiten muss, und die Arbeit auf der Bühne ist sehr anstrengend.« Er blickte zwischen Veronica und Newbury hin und her. »Vielen
Dank jedenfalls für Ihre freundlichen Worte.«
Newbury nickte. »Selbstverständlich.« Er fasste Veronica am Arm, als
wollte er sie aus dem Raum geleiten. Doch als sie gerade dem Zauberkünstler den
Rücken kehren wollten, hielt er noch einmal inne. »Wie lange werden Sie
eigentlich im Archibald gastieren, Mister Alfonso?«
»Noch eine Woche, Sir Maurice. Dann ziehe ich mit meiner Schau nach
Norden. Nach Manchester.«
Newbury suchte seinen Blick. »Ausgezeichnet. In diesem Fall bin ich
sicher, dass wir uns noch einmal sehen werden. Guten Abend.«
»Guten Abend.«
Die beiden Ermittler gingen hinaus.
DrauÃen hatte sich der Nebel wie eine dicke Wolldecke drückend
über die StraÃen der Stadt gelegt und zerstreute das
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