Osiris Ritual
verschwunden. Es hatte kein Geräusch und kein
Anzeichen irgendeiner Bewegung gegeben. Es war, als wäre sie einfach wie ein
ï¬Ã¼chtiger Geist in den Ãther davongeweht.
Jemand begann zu klatschen, die anderen stimmten ein, und gleich
darauf war das ganze Publikum auf den Beinen und applaudierte dem Magier, der
noch einen Moment auf der Bühne blieb, ehe er sich tief verneigte, seinen Hut
holte und auf der linken Seite die Bühne verlieÃ. Auch als der letzte Vorhang
längst gefallen war, klatschten die Zuschauer weiter.
Newbury wandte sich an Veronica. Er musste rufen, damit sie ihn in
dem Lärm verstand. »Also, das war nun wirklich beeindruckend.«
Veronica nickte wissend. »Ich frage mich besorgt, was nun als Nächstes
mit ihr geschieht.«
Newbury lächelte. »Genau das, Miss Hobbes, werden wir herausfinden.« Er sah sich über die Schulter um. »Kommen Sie, wir wollen
sehen, ob wir aus diesem Gedränge entï¬iehen können. Es dürfte nicht schwer
sein, den Weg hinter die Bühne zu finden.«
Veronica stand auf. Sie lächelte. »Vielen Dank, Sir Maurice. Dafür,
dass Sie mit mir hergekommen sind, meine ich.«
Newbury bot ihr lächelnd den Arm. »Es ist mir ein Vergnügen, Miss
Hobbes. Jederzeit gern.«
5
Wie Newbury erwartet hatte, fiel es ihnen nicht schwer,
hinter die Bühne zu gelangen. Newbury war zweifellos der am besten gekleidete
Mann im ganzen Haus, und nachdem sie sich dem weiÃhaarigen alten Mann, der wie
ein Wachtposten vor den Garderoben stand, mit gedämpfter Stimme als wohlhabende
Besucher vorgestellt hatten, die Alfonso zu seiner herausragenden Darbietung
beglückwünschen wollten, wurden sie in den privaten Bereich im hinteren Teil
des Theaters vorgelassen.
Das Archibald Theatre war ein kleines Haus, und Newbury erkannte
rasch, dass der gröÃte Teil des verfügbaren Raums den zahlenden Gästen zur
Verfügung stand. Hinter der Bühne war es eng und schmutzig, und wenn der
vordere Teil des Hauses schon verfallen war, so war der hintere Bereich
praktisch abbruchreif.
Newbury und Veronica standen in einem kurzen, schmalen Flur, der zu
einem Notausgang hinter dem Theater führte. Mehrere mit Schimmelï¬ecken übersäte
Türen gingen seitlich zu den Garderoben ab. Die hölzernen Dielenbretter
knarrten beunruhigend unter ihren FüÃen. Newbury bemerkte auch, dass Veronica
den Saum ihres gelben Kleids hob, damit es nicht den schmutzigen Boden
berührte. Er blieb vor einer offenen Tür stehen, spähte in eine leere Garderobe
und schnitt eine Grimasse. Der Raum war schon seit längerer Zeit nicht mehr
benutzt worden, er wirkte heruntergekommen und war voller Schimmel. Die Wände
waren glitschig vor Feuchtigkeit, auf dem Boden lagen der Kot von Nagetieren
und die verwesten Ãberreste weggeworfener Lebensmittel. Die Möbel waren in
einer Ecke aufgestapelt und mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
»Ich staune, dass das Theater trotz dieses baufälligen Zustands
überhaupt noch in Betrieb ist.« Mit gerümpfter Nase
trat Veronica zu Newbury und blickte ebenfalls in den verlassenen Raum. Im
schwachen Licht glänzten ihre Augen. Sie war voller Energie und Lebendigkeit
und bereit, sich völlig in ein neues Abenteuer zu stürzen. Newbury musste
lächeln. Das Jagdfieber hatte sie gepackt.
Er nickte. »Allerdings. Ich fürchte, dieses Haus hat seine besten
Tage schon lange hinter sich.«
Als in einem anderen Raum, etwas weiter unten auf dem Flur, jemand
hustete, drehte Veronica den Kopf herum, und Newbury blickte über ihre
Schulter. Es war niemand zu sehen, doch es war klar, woher das Geräusch
gekommen war. Die Tür stand einen Spalt offen, und das Licht fiel auf den
Korridor heraus. Auf den Wänden tanzten gespenstische Schatten. Die beiden
näherten sich dem Licht. Newbury zögerte vor der Tür und klopfte dreimal laut
an den Türrahmen. Von seinem Standort aus konnte er nicht erkennen, wer sich
dort drinnen aufhielt. Allem Anschein nach wurde diese Garderobe jedoch öfter
benutzt als die erste, die er gerade eben betrachtet hatte. An den Wänden
hingen bunte Werbeplakate von Darbietungen, die schon längst zu anderen, lukrativeren
Häusern weitergezogen waren â die stärksten Männer der Welt, Tanzmädchen,
Bühnenzauberer aus dem Fernen Osten. An einer Wand stand ein Schminktisch, in
einer Ecke des verfärbten
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