Osiris Ritual

intakt
waren.«
    Newbury schüttelte den Kopf. »Ich hatte nicht genug Zeit, mir alles
genau anzusehen. Mir ist da drüben eine ungewöhnliche Uschebti-Figur
aufgefallen …« Er ging durch einen Haufen geborstener Scheiben zu einem
anderen, teilweise noch intakten Schaukasten. »Ich erinnere mich, dass mir die
ungewöhnlichen Inschriften aufgefallen sind. Die meisten dieser Objekte sind
mit einem bestimmten Abschnitt aus dem Buch der Toten beschriftet. Auf dieser
Figur hier stand jedoch etwas ganz anderes, das ich noch nie zuvor gesehen
hatte.« Er sprach leise, fast flüsternd, während er die
Überreste der Vitrine untersuchte. Dann wandte er sich wieder an Bainbridge. »Sie
ist weg.«
    Â»Sie könnte auch irgendwo in diesem Durcheinander liegen, Newbury.
Das hat doch nichts zu bedeuten.« Bainbridge
schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, genau das war auch der Sinn der Übung. Wir
werden Tage brauchen, um genau festzustellen, was fehlt. Wir müssen die Objekte
einzeln mitWinthrops Inventarliste vergleichen, bevor wir genau wissen, was der
Mörder mitgenommen hat. Vorausgesetzt, Winthrop hat überhaupt eine
Inventarliste geführt.«
    Newbury nickte und betrachtete das Bild der Verwüstung. Die
eigenartigen, Ägyptern nachgebildeten Automaten
standen stumm auf ihren Podesten hinter der Treppe. Winthrops Leichnam war
nirgends zu sehen. Er wandte sich wieder an Bainbridge. »Wo ist Winthrop
überhaupt?«
    Â»Im Salon.« Der Polizeibeamte seufzte. »Kommen Sie, damit wir es
hinter uns bringen. Wie ich hörte, ist es kein schöner Anblick.«
    Newbury stieg aus den Trümmern des Schaukastens heraus und achtete
darauf, sich nicht an den Scherben zu schneiden. Schweigsam folgte er
Bainbridge durch die Haupthalle zu der Flügeltür, die in den Salon führte.
    Der Raum lag noch im Dunkeln, die schweren Vorhänge waren vorgezogen
wie bei Newburys letztem Besuch. Es dauerte einen Augenblick, bis seine Augen
sich an das Zwielicht angepasst hatten. Bainbridge hustete. Es roch staubig und
nach Schimmel. Newbury erkannte den Geruch der entblößten Mumie, die genau wie
vor zwei Abenden auf dem Tisch lag. Die abgenommenen Leinentücher hatte jemand
daneben zusammengerollt.
    Zuerst konnte Newbury den toten Lord nicht entdecken. Am Kamin lag
er nicht, auch nicht vor dem Bücherregal hinten im Raum. Er runzelte die Stirn.
Sir Charles starrte unterdessen benommen in den äußeren Sarkophag, der neben
dem Tisch auf dem Boden lag. Newbury folgte dem Blick.
    Irgendjemand hatte Winthrops Körper sorgfältig im Sarg drapiert und
ihm die Arme vor der Brust überkreuzt, um eine grässliche Parodie jener Pose
herzustellen, in welcher die Mumie bestattet worden war. Man hatte ihm die
Kehle aufgeschlitzt, das Blut hatte sich unter seinem Kopf gesammelt und
bildete eine halb geronnene, zähflüssige Pfütze. Der Mund war im Todeskampf zu
einem schrecklichen Grinsen erstarrt.
    Newbury hockte sich neben den Holzsarg. »Hier hat jemand einen
grässlichen Sinn für Humor gezeigt, Charles.«
    Â»Das kann man wohl sagen. Der arme Kerl. Die Presse darf auf keinen
Fall Wind davon bekommen.«
    Â»Allerdings.« Newbury drehte Winthrops Kopf behutsam hin und her.
Dabei klaffte der Schnitt im Hals auf wie ein zweiter Mund. Überall war Blut;
es klebte in Winthrops Haupthaar und im Bart, die Kleidung war feucht. Aus den
Arterien war es hochgespritzt und hatte sich in weitem Umkreis um den Sarg
verteilt. Es war ein rascher und brutaler Mord gewesen. Nicht gerade das, was Newbury
von einem überraschten Einbrecher erwartet hätte. »Charles, haben Sie gesehen,
wie präzise man ihm den Hals durchgeschnitten hat? So etwas ist nicht das Werk
eines gewöhnlichen Verbrechers. Es ist geradezu eine Hinrichtung, die viel eher
dem Stil der Agenten der Krone entspricht, und wie es der Zufall will, suche
ich gerade in diesem Moment einen abtrünnigen Agenten Ihrer Majestät.«
    Bainbridge zuckte zusammen. »Nein, Newbury. Ich weigere mich strikt,
so etwas zu glauben. Warum sollte Ashford so etwas tun? Welches Motiv könnte er
haben, Winthrop auf diese Weise zu ermorden?«
    Der Polizeibeamte mochte protestieren, wie er wollte, Newbury war
sich seiner Sache absolut sicher. Er stand auf und wischte mit dem Taschentuch
das Blut von den Fingern ab. »Ich habe keine Ahnung, aber nach allem, was mir
Ihre Majestät