Osiris Ritual
kampfunfähig zu machen, damit sie die Polizei rufen konnte.
So schnell gab Alfonso jedoch nicht auf. Wie ein in die Enge getriebener Bär
schlug er um sich und hackte mit den zu Krallen gekrümmten Fingern nach ihrem
Gesicht. Die Nägel trafen schmerzhaft ihre Wange. Sie keuchte vor Schmerzen,
als er ihr blutige Striemen durch das Gesicht zog.
Sofort schlug sie seine Arme weg und versetzte ihm einen Tritt, um ihn auf
Abstand zu halten. Wenn er ihr zu nahe kam, konnte er sie möglicherweise doch
noch überwältigen. Sie traf ihn voll am Oberschenkel, und er kippte zurück,
krümmte sich und ï¬uchte laut. »Du verdammte Hure!«
Veronica ging auf ihn los, solange er hinkte und sich noch nicht von
dem Tritt gegen das Bein erholt hatte. Sie verpasste ihm einen kräftigen
Faustschlag in den Bauch. Er krümmte sich und schnaufte, weil ihm der Hieb die
Luft aus den Lungen getrieben hatte. Fast machte er eine Verbeugung vor ihr,
als er sich die Hände auf den Bauch presste. Veronica ergriff die Gelegenheit.
Sie packte am Hinterkopf sein zottiges Haar und zog das Knie hoch. Mit einem
üblen Knirschen brach seine Nase, dunkelrotes Blut spritzte in die Luft und
verschmutzte auch ihren Hosenrock. Alfonso stieà einen jämmerlichen Klagelaut
aus und ging zu Boden. Er keuchte schwer, spuckte Blut und betastete sein
ramponiertes Gesicht. Veronica trat zurück und betrachtete den armen Wicht.
Alfonso blickte zu ihr hoch und kicherte irre.
»Was? Was ist los?« Der unverhoffte
Ausbruch beunruhigte Veronica sehr. Er antwortete jedoch nicht, sondern lachte
nur noch lauter. Daraus konnte sie nur den Schluss ziehen, dass er unter der
Belastung den Verstand verloren hatte. Sie sah sich nach einem Strick oder
einem Stück Stoff um, mit dem sie ihn fesseln konnte, während sie die Polizei
rief. Sie trat zu dem runden Tisch mitten auf der Bühne, wo Alfonsos
umgedrehter Hut und das Schwert an Ort und Stelle geblieben waren. Das völlig
unpassende Kichern wurde immer schriller, bis sie das Gefühl hatte, auf ihrem
Rücken krabbelten Insekten auf und ab, oder als zöge jemand kreischende
Fingernägel über eine trockene Schiefertafel. Sie schauderte. Trotzdem, sie
hatte ihn endlich erwischt, und sobald sie ihn gefesselt und der Polizei
übergeben hätte, wäre es vorbei. Keine vermissten Frauen mehr.
Sie betrachtete den Hut und vergewisserte sich hin und wieder, dass
Alfonso nicht doch noch die Flucht ergriff, wenn sie gerade nicht hinschaute.
Er hielt sich immer noch das blutende Gesicht, funkelte sie dabei aber böse und
fast erwartungsvoll an. Sie hatte das Gefühl, dass ihr etwas entging. Auf
einmal warf er sich nach rechts und drosch die Handkante fest auf die
Holzbühne. Anscheinend hatte er einen Auslöser betätigt, denn zu Veronicas
Erstaunen gab der Boden unter ihr nach, und bevor sie reagieren konnte â sie
schaffte es nicht einmal mehr, die Arme auszustrecken und sich festzuhalten â,
stürzte sie hinab.
Sie landete hart, ihre Beine gaben nach. Ãber ihr schloss sich die
Falltür in der Bühne, durch die sie gestürzt war. Um sie war es stockfinster,
oben hörte sie Alfonsos irres Lachen durch den Zuschauerraum hallen. Veronica
tastete die Umgebung ab. Sie befand sich in einer sargähnlichen Kiste aus
grobem, unbehandeltem Holz, aus dem sich Splitter lösten, sobald sie frustriert
und ängstlich dagegenklopfte. Sie schlug rundherum um sich und versuchte, einen
Fluchtweg zu finden oder die Kiste umzuwerfen, doch sie gab nicht nach. Ãber
ihr war der Mechanismus längst wieder eingerastet, und sosehr sie es auch
versuchte, von innen bekam sie die Klappe nicht mehr auf. Sie saà in der Falle.
Mit Tritten überprüfte sie den Boden und bemerkte, dass etwas unter
ihr lag. Sie bückte sich, so gut es in dem engen Raum möglich war. Stoff.
Bündel von schwerem Stoff. Im Dunkeln runzelte sie die Stirn. Dann erkannte sie
voller Panik, worum es sich wirklich handelte. Die Lappen waren mit Chloroform
getränkt. Der widerlich süÃe Geruch des Mittels war unverkennbar. Es würde
nicht mehr lange dauern, bis die Dämpfe sie betäubten.
Unter der Kiste knarrte etwas, sie erbebte, und Veronica spürte
Erschütterungen. Sie kippte zu einer Seite, als sich ihr Gefängnis in Bewegung
setzte. Offenbar ging es noch weiter abwärts. Anscheinend ruhte der Behälter
auf einem Fahrgestell, das sich durch
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