Osten, Westen
unter die Haarigen gegangen.» Der junge Zulu war, was die Haare betraf, ein moderner Sikh gewesen und hatte mit achtzehn zwar einen bildschönen Schnurrbart, aber keinen Vollbart getragen, und das Haupthaar hatte er sich schneiden lassen, statt es in langen Strähnen unter einem Turban fest
um den Kopf zu wickeln. Jetzt jedoch schien er zur Tradition zurückgekehrt zu sein.
«Hallo, ji », begrüßte Zulu ihn vorsichtig. «Dann ist es also okay, die alte Anrede zu benutzen?»
«Benutze nur! Welche denn sonst?» Damit reichte Chekov Zulu seine Taschen und den Gepäckschein. «Ganz im Geist der alten ‹Enterprise› und so.»
In seinem öffentlichen Leben ein durchaus weltgewandter Mann, genoss es Chekov im Privatleben, wenn er die offizielle Maske fallenließ, sich gelegentlich auf interkulturellem Gebiet so richtig schön aufzuregen. Kurz nach dem Antritt seines neuen Postens saß er mit Zulu einmal zur Mittagszeit auf einer Bank in den Embankment Gardens und deutete mit einer Kopfbewegung auf die verschiedenen Passanten.
«Gauner», sagte er sotto voce.
«Wo?», rief Zulu und sprang sportlich auf. «Soll ich hinterher? »
Schon drehte man sich nach ihnen um. Chekov packte Zulu am Jackettsaum und zog ihn auf die Bank zurück. «Spiel nicht den Helden!», warnte er ihn freundschaftlich. «Ich meine alle, ganz allgemein; Diebe, einer wie der andere. Großer Gott, ich liebe London! Theater, Ballett, Oper, Restaurants! Den Pavillon im Lord’s-Stadion beim Test-Match am Sonnabend! Die königlichen Enten auf dem königlichen Teich im königlichen St. James’s Park! Anständige Herrenschneider, ein anständiger Mixed Grill, wann immer man Appetit darauf hat, anständige Magazine zum Lesen! Ich sehe die Überreste einstiger Größe und gebe offen zu, dass ich beeindruckt bin. Athenaeum, Buck House, die Löwen auf dem Trafalgar Square.
Verdammt eindrucksvoll. Einmal hab ich mich mit dem Junior-Minister im F. & C. O. getroffen und sofort gemerkt,
dass ich im alten India Office war. Überall das schwarze Teakholz der John Company, überall dicke Stoßzähne auf alten Bücherregalen. Hat mich ganz schön mitgenommen. Man kann sie nur zu ihrem Erfolg beglückwünschen: hurra! Aber dann seh ich mir mein eigenes Haus an und muss feststellen, dass es von Einbrechern ausgeraubt wurde. Ich kann nicht verhehlen, dass da ein Bodensatz von Groll in mir nagt.»
«Tut mir leid, dein Verlust», entgegnete Zulu und zog die Brauen zusammen. «Aber die Schuldigen sind doch bestimmt nicht hier zu finden.»
«Zulu, Zulu, das ist eine Redewendung, du Einfaltspinsel von einem Kriegsfürsten! Ihre Museen sind vollgestopft mit unseren Schätzen, hab ich gemeint. Ihre Vermögen, ihre Städte – alles gegründet auf der Beute, die sie uns abgenommen haben. Und so weiter und so fort. Man verzeiht, natürlich; das liegt in unserem Nationalcharakter. Aber vergessen muss man nicht.»
Zulu deutete auf einen Penner, der in zerlumptem Hut und Mantel auf der Nachbarbank schlief. «Hat der uns auch bestohlen?», fragte er.
«Vergiss niemals», dozierte Chekov mit erhobenem Zeigefinger,«dass die britische Arbeiterklasse um ihres Vorteils willen am Kolonialprojekt mitgearbeitet hat. Die Baumwollarbeiter von Manchester unterstützen zum Beispiel die Vernichtung unserer Baumwollindustrie. Als Diplomaten dürfen wir derartige Fakten nicht außer Acht lassen; denn Fakten sind und bleiben sie nun mal.»
«Aber dieser Bettler da gehört nicht zur Arbeiterklasse», wandte Zulu zu Recht ein. «Der ist bestimmt keiner von den Unterdrückern.»
«Zulu», entgegnete Chekov verzweifelt, «gib dich nicht so scheißverdammt schwierig.»
Als Chekov und Zulu auf dem Serpentine-See im Hyde Park Boot fuhren, kam Chekov wieder auf sein Steckenpferd zu sprechen. «Sie haben uns bestohlen», erklärte er und legte sich, Kreissäge auf dem Kopf und Champagner in der Hand, in die gestreiften Kissen zurück, während der starke Zulu ruderte. «Und nun stehlen wir uns eben, was uns zusteht, wieder zurück. Das ist wie mit den Elgin Marbles.»
«Du solltest nicht so unzufrieden sein», sagte Zulu, der die Riemen einholte und Cola kippte. «Du solltest nicht so gierig sein, und nicht so mürrisch. Sieh dir doch an, was du alles hast! Wirklich genug. Gib Ruhe und genieße es! Ich habe weniger, aber für mich reicht’s. Die Sonne scheint, was brauchen wir mehr? Die Kolonialzeit ist ein abgeschlossenes Kapitel.»
«Jeder, wie er mag», sagte Chekov. «Bei
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