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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Captain gewesen ohne seine ranghöchsten Offiziere? Genau wie bei unserem Staatsschiff Hindustan. Auch wir sind nämlich Diener, genau wie Ihr grimmiger Jaisingh hier. Niemals wichtiger als in Momenten wie der gegenwärtigen bedauerlichen Krise, wenn unter allen Umständen Ruhe bewahrt, jalebi serviert und Tee eingeschenkt werden muss. Wir führen nicht, nein, wir ermöglichen. Ohne uns kann kein Kurs angelegt, keine Grußfrequenz geöffnet und kein Warp auf Faktor drei erhöht werden.»
    «Steckt er denn in Schwierigkeiten, Ihr Zulu? Als wäre sie nicht schon schlimm genug, diese schreckliche Zeit.»
    An der Wand hinter dem Fernseher hing ein gerahmtes, mit einer Girlande geschmücktes Bild von Indira Gandhi. Seit Mittwoch war sie jetzt schon tot. Die Aufnahmen von ihrer Verbrennung waren stundenlang im Fernsehen gezeigt worden. Die Blütenblätter, die hellen, unerträglichen Flammen.
    «Schwer zu glauben. Indira ji ! Da fehlen einem die Worte. Sie war unsere Mutter. Hai, hai! Niedergemäht in der Blüte ihrer Jahre.»
    «Und im Radio-TV kommen so viele Geschichten über Vorgänge in Delhi. So viele Morde, Dipty Sahib. So viele von unseren anständigen Sikh-Leuten umgebracht. Tragen doch nicht alle die Schuld an den Verbrechen von ein, zwei schurkischen Leibwächtern.»
    «Die Sikh-Gemeinde galt immer als der Nation treu ergeben», sinnierte Chekov. «Rückgrat der Armee, ganz zu schweigen vom Taxidienst in Delhi. Superbürger, könnte man sagen, offenbar mit der nationalen Idee verheiratet. Doch
diese Ideen werden heute in Frage gestellt, das müssen Sie zugeben; es gibt Leute, die Kamm, Fußreif, Dolch et cetera als Zeichen des Feindes im Innern auslegen.»
    «Wer würde es wagen, solche Dinge über uns zu sagen? Etwas so Böses?»
    «Ich weiß, ich weiß. Aber nehmen wir mal Zulu. Der heikle Punkt ist, dass er sich, soweit wir wissen, nicht auf einer offiziellen Dienstreise befindet. Er ist sozusagen von der Bildfläche verschwunden, Begum Sahib. Unerlaubte Entfernung von der Truppe, seit dem Attentat. Über zwei Tage lang kein Kontakt mehr.»
    «O Gott!»
    «In der Zentrale sind manche der Meinung, dass er sich der Bande angeschlossen haben könnte. Die höchstwahrscheinlich schon seit langem eine Verbindung mit der Gemeinde hier etabliert hat.»
    «O Gott!»
    «Natürlich kämpfe ich energisch gegen die Verfechter dieser Einstellung. Doch seine Abwesenheit wirkt sich vernichtend aus, das müssen Sie einsehen. Wir haben keine Angst vor diesen schäbigen Khalistan -wallahs. Aber sie können sehr unbarmherzig sein. Und bei Zulus Insider-Wissen und seinem Sicherheits-Background ... Diese Leute haben weitere Überfälle angedroht, wie Sie wissen. Wie Sie wissen müssten. Wie Sie, das meinen manche, nur allzu gut wissen müssten.»
    «O Gott!»
    «Es wäre möglich», fuhr Chekov fort und kaute seine jalebi, «dass Zulu mutig so weit gegangen ist wie noch kein indischer Diplonaut zuvor.»
    Die Ehefrau weinte. «Selbst diesen idiotischen Namen sprechen Sie nie richtig aus. Man schreibt ihn mit S. ‹Sulu.› So viele, viele Folgen hab ich mir ansehen müssen – glauben
Sie vielleicht, da wüsste ich so was nicht? Kirk Spock McCoy Scott Uhura Chekov Sulu .»
    «Aber Zulu ist ein treffenderer Name für jemanden, den manche für einen wilden Mann halten», widersprach Chekov. «Für einen angeblichen Wilden. Für einen mutmaßlichen Verräter. Ich danke Ihnen für den ausgezeichneten Tee!»
     
     
    2
     
    Im August hatte Zulu, ein schüchterner, stämmiger Riese, Chekov von der Maschine aus Delhi abgeholt. Mit seinen dreiunddreißig Jahren war Chekov ein kleiner, zierlicher, adretter Mann in grauen Flanellhosen, Hemd mit gestärktem Kragen und einem zweireihigen marineblauen Blazer mit Messingknöpfen. Da er Augenbrauen wie Fledermausflügel und ein vorspringendes, kampflustiges Kinn hatte, kamen seine kultivierte Ausdrucksweise und seine normalerweise leise Stimme recht überraschend und entwaffnend für all jene, die von Augenbrauen und Kinn dazu verleitet worden waren, einen weit aggressiveren Menschen zu erwarten. Er war ein Karrieretyp und hatte eine kleinere Botschaft bereits abgehakt. Der stellvertretende Numero-Zwei-Job in London, der allerdings nur vorübergehend sein sollte, war die vorläufig letzte Feder an seinem Hut.
    «Heda, Zools! Jahre ist es her, jawohl, Jahre!», rief Chekov und klatschte dem anderen die flache Hand vor die Brust. «Nanu», fuhr er dann fort, «wie ich sehe, bist du jetzt auch

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