Ostfriesengrab
Heiner Zimmermann.
»Das mit dem Job hat sich vermutlich erledigt«, sagte Weller und sah nach unten.
»Frank, wozu leben wir? Wozu sind wir auf der Welt? Worum geht es eigentlich? Um ein verchromtes Auto? Um ein dickes Konto auf der Bank?«
Schon war Heiner Zimmermann wieder bei Weller. Er packte ihn mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte ihn.
Ann Kathrin wusste nicht, ob sie stehen bleiben oder sich setzen sollte, ob es besser war, das Zimmer zu verlassen oder hier zu bleiben. Sie musste sich schwer beherrschen, um nicht in ihren Verhörgang zu verfallen: Drei Schritte, eine Kehrtwendung, drei Schritte, eine Kehrtwendung.
Dann setzte sie sich mit halbem Hintern auf die Sessellehne. So stand sie nicht ganz, sie saß aber auch nicht ganz, sie war nicht vollständig da, aber auch nicht ganz weg. Unentschiedenheit spiegelte ihren Zustand im Moment am besten wider. Fasziniert sah sie den beiden zu, fast ein wenig eifersüchtig über die Nähe, die sie zueinander hatten.
»Was war mit dir als Kind, Frank? Erinnere dich dran. Was wolltest du werden? Was waren deine Träume?«
Frank befreite sich aus Heiner Zimmermanns Griff, sah ihm gerade in die Augen und behauptete: »Ich hatte so etwas nicht, Heiner. Ich war nicht wie du. Ich hatte keinen Traum, für den ich bereit war, alles aufs Spiel zu setzen und alles zu tun. Ich wollte mich irgendwie so durchschummeln. Irgendwas, womit ich vor meinen Eltern gut dastand. Etwas, bei dem nicht auffällt, dass ich im Grunde ein Nichtskönner bin. Keinerlei besondere Begabungen habe oder … «
Zimmermann beharrte darauf: »Deine Träume, Frank. Ich frage dich nach deinen Träumen.«
»Ich habe von einem Eis geträumt. Von leckerem Nachtisch. Das war alles viel kleiner als bei dir, verstehst du? Du hast immer dein Ding durchgezogen, Heiner.«
Heiner lachte bitter und klatschte in die Hände. »Bravo! Bravo! Was soll das hier werden? Eine Komödie? Sämtliche Hochschulen und Kunstakademien haben mich abgelehnt! In den großen Museen bin ich höchstens ein zahlender Gast. Meine Bilder hängen da nicht! Über deine Frau steht mehr in der Lokalzeitung als über mich!«
Für Ann Kathrin war das fast wie einen Vorwurf. Gleichzeitig gefiel es ihr, dass er »deine Frau« sagte, denn so fühlte sie sich inzwischen. Als sei sie Wellers Frau. Obwohl sie immer noch mit Hero verheiratet war und sie mit Frank nie über eine Ehe geredet hatte, fühlte sie sich mit ihm viel verheirateter, als sie es mit Hero je gewesen war.
»Aber du lebst das, was du bist«, sagte Weller und sah seinen Freund fast flehentlich an, so als ob er es brauchen würde, dass wenigstens einer von ihnen glücklich geworden war.
Heiner Zimmermann erstarrte einen Moment, sah betreten vor sich hin. Dann sprach er mit knarzender Stimme weiter, als sei plötzlich sein Hals ausgetrocknet: »Ja, vielleicht hast du
recht. Das tue ich. Aber ich zahle auch einen hohen Preis dafür. Glaub ja nicht, dass man so etwas geschenkt kriegt. Mir haben zig Leute den Weg versperrt. Ich bin nur vor verschlossene Türen gelaufen.«
Das ließ Weller nicht gelten. »Alle Frauen lassen sich von dir malen. Du bist so beliebt und begehrt, weil du begabt bist und einfühlsam, weil du mit ihnen reden kannst, sie erreichst und … «
»Ja, Frank, wenn es darum geht, dann hast du recht. Sie lassen sich alle von mir malen. Aber dann? Dann bitten sie mich, die Bilder nicht auszustellen. Sie bezahlen mich dafür, dass ich die Bilder nicht zeige! Manch eine kauft ein Bild nur, damit niemand es sieht. Maler malen aber, damit ihre Bilder gesehen werden. Erst durch das Auge des Betrachters entsteht das eigentliche Kunstwerk! Ein Kunstwerk, das nicht gesehen wird, dem fehlt eine Dimension! Die wichtigste!«
Frank Weller wollte sich nicht auf diese Diskussion einlassen. Er wusste, dass er dann ohnehin nur den Kürzeren ziehen konnte.
Er schwieg jetzt, nahm seine Espressotasse und trank den doppelten Schwarzen ohne Genuss.
Heiner Zimmermann drehte sich jetzt eine neue Zigarette, leckte das Zigarettenpapier an und sah zu Ann Kathrin hinüber. In seinem Blick lag etwas Tröstliches. Sie spürte eine Aussage wie:
Mach dir keine Sorgen, ich schaff das hier schon. Ich baue ihn wieder auf.
Weller schien ganz woanders zu sein. Sein Gesicht bekam etwas Kindliches. Plötzlich grinste er, dann lachte er und schließlich sagte er sehr ernst: »Als ich klein war, da wollte ich Pirat werden.«
Er schämte sich dafür und war gleichzeitig
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