Ostfriesengrab
wir ihn uns wieder.«
»Meinst du, er ist so dumm?«
»Hat er eine Wahl?«
Ann Kathrin schüttelte den Kopf. Sie massierte sich die Schläfen.
»Nein. So einfach ist das nicht. Der will nicht den Rest seines Lebens auf der Flucht sein. Der will einen Freispruch.«
»Einen echten Persilschein?«
»Genau.«
»Und wie bitte soll das gehen?«
Direkt vor dem Gespräch mit Meuling war Ann Kathrin noch zur Toilette gegangen. Zum vierten Mal an diesem Morgen. Doch jetzt, da sie in diesem schmucklosen Raum, der sie an das Gefrierfach in ihrem Kühlschrank erinnerte, auf Meuling wartete, hatte sie das Gefühl, ihre Blase würde jeden Moment platzen, wenn sie sich nicht sofort auf einer Toilette Erleichterung verschaffen könnte. Doch dann, als Meuling hereingeführt wurde, verflog das Gefühl augenblicklich.
Ihre Hände zitterten. Sie hielt sie unter dem Tisch versteckt.
Weller hätte sie zu gern hierhin begleitet, doch sie fürchteten, dass Meuling, wenn ein Zeuge dabei war, nicht reden würde. Normalerweise wäre der Wärter im Raum geblieben, doch Ann Kathrin Klaasen, die bekannte Kommissarin, nickte ihm zu, und er war froh, draußen eine rauchen zu können.
»Falls Sie mich brauchen … «
Ann Kathrin schüttelte den Kopf. »Nein danke, ich komme schon klar.«
Meuling setzte sich breitbeinig auf den Holzstuhl, stützte einen Ellbogen auf die Tischkante ab und machte mit der anderen Hand eine bedeutende Geste. Er spielte hier den König, der großzügig Audienz gab, und ein bisschen war es für Ann
Kathrin auch so. Dieser Mann hatte etwas, das sie unbedingt haben wollte.
Sie spürte die Anwesenheit ihres Vaters fast körperlich im Raum. Einmal drehte sie sich sogar um, weil es ihr so vorkam, als würde er hinter ihr stehen. Wie oft im Leben hatte sie gespürt, dass ihr Vater hinter ihr war, sie beschützte, ihr Ratschläge gab oder auch kritisch den Kopf schüttelte, wenn sie etwas tat, das ihm missfiel.
Ann Kathrin begann das Gespräch und ärgerte sich über das nervöse Zittern in ihrer Stimme. »Ihre Anwältin war bei mir. Frau Johannsen.«
Er grinste breit, doch das Zucken seiner Wimpern verriet ihr, dass er keineswegs so cool war wie er tat, sondern mindestens so aufgeregt wie sie selbst.
»Sie haben mit Volker Bogdanski in einer Zelle gesessen. Angeblich wissen Sie mehr über den Banküberfall, bei dem mein Vater ums Leben kam.«
»Ja. Ich weiß sogar den Namen des Mörders. Bogie hat es mir mehrfach erzählt. Ich kann die ganze Geschichte auswendig.«
»Bogie?«
»Ja, so nannten wir ihn. Er war ein guter Kumpel. Schade, dass er draufgegangen ist.«
Ann Kathrin schluckte. »Wenn Sie mir die ganze Geschichte erzählen und die Namen nennen, werde ich mich für Sie einsetzen. Beim Prozess wird es für Sie sprechen. Ich werde Ihnen den besten Anwalt besorgen, den man für Geld kriegen kann. Ich werde Ihnen die Haftbedingungen so leicht wie eben möglich machen, und wenn Sie rauskommen, sorge ich dafür, dass Sie nicht mittellos dastehen. Ich könnte eine Hypothek auf mein Haus aufnehmen und Ihnen fünfzigtausend Euro auf ein Festgeldkonto legen. Während Sie Ihre Haft absitzen, bringt das Zinsen.«
Er beugte sich zu ihr vor und winkte sie mit dem Zeigefinger
heran. Sie hielt das für ein gutes Zeichen und reckte ihm ihr Ohr entgegen. Er war ihr jetzt so nah, dass sie ihn riechen konnte. Sie mochte sein scharfes Rasierwasser nicht, mit dem er versuchte, den säuerlichen Mundgeruch zu überspielen. Er hatte seit seiner Verhaftung Magenprobleme.
Er flüsterte: »Hören Sie mir genau zu, Frau Kommissarin. Ich sage das nur ein einziges Mal: Ich scheiß drauf.«
Dann setzte er sich wieder breitbeinig hin und schlug mit der Faust auf den Tisch: »Ich werde keine Strafe absitzen für eine Sache, die ich nicht gemacht habe! Liefern Sie den richtigen Mörder oder irgendeinen anderen Arsch, der mich hier auswechselt, und ich sage Ihnen, wer Ihren Vater umgebracht hat.«
»Das kann ich nicht«, konterte Ann Kathrin.
Er stand auf. »Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen. Ich weiß gar nicht, warum Sie gekommen sind. Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde mich auf Ihren Blödsinn mit den Fünfzigtausend einlassen?«
»Mit juristischen oder kriminalistischen Mitteln kann ich Sie nicht freikriegen. Sie sitzen tief drin. Selbst wenn ich Beweismittel verschwinden lassen würde – es steht alles längst in den Akten. Wenn Sie hier vorzeitig raus wollen, müssen Sie sich entweder gut führen, dann können
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