Ostfriesengrab
mich reinlegen, dann … «
Es war völlig still im Raum. Er schrieb, und das Kratzen der Feder auf dem Papier jagte Ann Kathrin eine Gänsehaut über die Arme.
Gleich hab ich dich, dachte sie. Sie schloss ganz kurz die Augen. Wenn Papa mich jetzt sehen könnte, wäre er stolz auf mich. Dieser Meuling wollte mich austricksen, und jetzt hab ich ihn an der Angel. Sie nahm das Geständnis an sich und steckte es in ihre Handtasche.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Meuling und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Nase.
»Jetzt sagen Sie mir, wer der Mörder meines Vaters ist. Und dann erledige ich den Rest.«
Dagegen sträubte sich alles in Meuling. Er bäumte sich auf. »O nein! Keineswegs! Wer sagt mir denn, dass Sie dann noch Wort halten? Ich bin doch keine zwölf Jahre alt, Frau Kommissarin! So leicht können Sie mich nicht reinlegen. Jetzt kommen Sie erst mit den Fünfzigtausend rüber.«
»Welche Fünfzigtausend?«
»War das nicht Ihr Vorschlag? Die Hypothek auf Ihr Haus. Schon vergessen? Wenn ich freikomme, brauche ich einen Neuanfang. Ich kann ja wohl schlecht in Duisburg meine alten Geschäfte wieder aufnehmen.«
Ann Kathrin nickte. »Okay. Wo soll ich das Geld für Sie deponieren?«
»Überweisen Sie es an meine Anwältin. Ich werde ihr im Gegenzug den Namen vom Mörder Ihres Vaters sagen, Frau Klaasen. Sobald das alles hier vorbei ist und ich frei bin, bekommen Sie den Namen.«
Im Fernsehen liefen beängstigende Berichte über die Klimakatastrophe. Die Möglichkeiten digitaler Filmbearbeitung brachten den Ostfriesen schockierende Zukunftsvisionen ins Wohnzimmer. Auf dem Bildschirm führte die Erderwärmung zu einem rasanten Schmelzen der Pole, der Meeresspiegel stieg an, die Nordseeküste wurde zur Karibik, es wuchsen Palmen, statt Sanddorn und Birnen erntete man Kokosnüsse, Mangos und Bananen. Dann zerstörten riesige Flutwellen das Land, und die Küste der Nordsee begann in der Lüneburger Heide.
Wie zum Hohn auf diese Berichterstattung gab es Ende Mai einen Kälteeinbruch und einen vierzehntägigen Dauerregen. Oldenburg, Hannover und Emden traf es besonders hart. Die Städte machten inzwischen Venedig Konkurrenz.
Die Drainagen um Ann Kathrins Haus schafften die Wassermassen nicht. Der Garten sah aus wie ein Teich. Ein ertrunkener Maulwurf schwamm vor ihrer Terrassentür.
Damit das Wasser nicht über die Terrasse ins Wohnzimmer und die Küche hineinlief, hatte sie gemeinsam mit Weller jede Ritze mit Handtüchern und Wolldecken ausgestopft. Weller lachte, weil die Türen aussahen, als ob sie ihnen einen Winterschal verpasst hätten.
Ann Kathrin stellte die Fußbodenheizung höher, sodass die beiden sich im Haus fast nur noch barfuß bewegten. Wenn sie mit nassen Schuhen und Strümpfen von draußen hereinkamen, war das für Ann Kathrin der schönste Moment: Die Schuhe auszuziehen und die warmen Fliesen unter den Fußsohlen zu spüren.
Gestern, beim Einkaufen, als sie bereits auf dem Weg mit dem
Einkaufswagen vom Combi zu ihrem Auto völlig durchnässt wurde, hatte sie sich zu Hause noch vor der Garderobe bis auf die Unterwäsche ausgezogen und sich dann auf die warmen Steinfliesen gelegt.
Weller sah das. Er wollte Bœuf Stroganoff auf ostfriesische Art machen, heißt: mit Fischstückchen statt mit Rindfleisch. Er hatte bereits Zwiebeln gewürfelt und stand mit einem Messer in der Hand und verheulten Augen im Rahmen der Küchentür.
Er konnte nicht widerstehen, als er sah, wie Ann Kathrin sich auf den Fliesen räkelte. Er zog sich ebenfalls aus. Am liebsten hätte er auch auf die Boxershorts verzichtet, tat es aber nicht, weil auch sie nicht gänzlich nackt war. Dann legte er sich zu ihr auf die Fliesen, und sie rollten sich ein, wie zwei Rostbratwürstchen, die es nicht erwarten konnten, endlich knusprig zu werden.
Dann liebten sie sich auf den heißen Steinen. Danach taten ihr der Rücken weh und ihm die Knie, aber das nahmen sie lachend in Kauf, während sie die Soße für das Stroganoff mit einem ganzen Glas Dijon-Senf verschärften und sich zum ersten Mal zugestanden, dass es auch Vorteile hatte, wenn die Kinder bei den Expartnern blieben. Mit Eike im Haus oder Wellers Töchtern hätten sie sich sicherlich nicht auf dem Fußboden geliebt.
Sie machten keine Musik an. Der pfeifende Wind hatte sich inzwischen zu einem heulenden Wolfsrudel entwickelt. Der Regen trommelte geradezu wütend gegen die Scheiben, und das reichte ihnen als romantisches
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