Ostfriesengrab
Hintergrundgeräusch.
Weller hatte alles im Wok angerichtet. Der stand jetzt zwischen ihnen. Sie saßen nackt auf den Küchenstühlen und luden sich gewaltige Portionen auf die Teller. Guter Sex machte sie immer hungrig.
Sie sollte sich eine Decke um die Schultern legen, doch Weller bat sie, noch ein bisschen so sitzen zu bleiben. Er konnte sich nicht an ihr sattsehen, und wirklich satt essen konnte er sich
auch nicht. Er fischte noch die letzten Heringsreste aus dem Wok, dann lehnte er sich zurück und stöhnte wohlig: »Mein Gott, kann das Leben schön sein!«
Sekunden später rief Rupert an, weil er sich »diesen Scheiß-Magen-und-Darm-Virus« gefangen hatte, der seit Tagen in der Polizeiinspektion Aurich grassierte.
Seine Krankmeldung interessierte Ann Kathrin nicht besonders. Sie war es gewohnt, mit knapper Personaldecke zu arbeiten. Aber ganz nebenbei erwähnte Rupert noch: »Wir haben jetzt die Freigabe. Der Tatortbesichtigung mit Meuling steht im Prinzip nichts mehr im Wege.«
Sofort schlug Ann Kathrin das Herz bis zum Hals. Sie konnte es kaum noch abwarten. Trotz Meulings schriftlichen Geständnisses hatte es doch mehr als vierzehn Tage gebraucht, um alle bürokratischen Hürden zu überwinden.
»Was heißt denn: im Prinzip?« »Die Kollegen von Duisburg-Hamborn können ihn nicht herbringen. Die haben zu wenig Personal.« Rupert lachte. »Na, kennst du irgendeine Behörde, die zu viel Personal hat? Hier steht, es geht frühestens in vierzehn Tagen.«
Empört sagte Ann Kathrin: »Wie – die können ihn uns nicht bringen? Ich warte doch nicht nochmal vierzehn Tage! Notfalls hole ich ihn selber ab.«
»Das steht uns nicht zu«, sagte Rupert. »Das müssen die Justizbehörden selber … «
Ann Kathrin zitierte gleich aus der einschlägigen Rechtsbibliothek: »Der Transport von Untersuchungsgefangenen obliegt den Justizbehörden. Die zuständige Polizeibehörde leistet nur dann Vollzugshilfe, wenn nach Bekanntgabe eines Haftbefehls die Justizbehörde den Untersuchungsgefangenen nicht übernehmen kann oder die Justizvollzugsanstalt zum Transport eines Untersuchungsgefangenen nicht oder nicht alleine in der Lage ist. Soweit sich abweichende Vereinbarungen zwischen
örtlichen Polizei- und Justizbehörden als zweckmäßig erweisen, werden sie durch die vorstehende Grundsatzregelung nicht ausgeschlossen.«
Rupert stieß sauer auf: »Ja und?«
»Schick zwei Kollegen«, ordnete Ann Kathrin energisch an. »Wie wär’s mit Schrader und Benninga?«
»Falls die nicht auch die Grippe in den Knochen haben.«
»Es wird doch wohl auch noch jemand gesund sein in der Inspektion.«
Rupert beendete das Gespräch: »Ich organisier das noch für dich, dann fahre ich aber nach Hause und leg mich direkt neben der Toilette schlafen. Und ich komme nicht eher zurück, bis mein Körper diesen Scheißvirus besiegt hat.«
Ann Kathrin sah Weller an. Ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz. Sie bewegte sich raubtierhaft. Weller hätte sich nicht gewundert, aus ihrem Mund Worte zu hören wie: »Jetzt vernasche ich dich noch einmal auf dem Fußboden.« Aber das sagte sie nicht. Ihre Erregung war nicht sexueller Natur.
Sie rieb sich mit den Handflächen über die Oberarme. »Ich spüre es, Frank. Ich spüre es auf der Haut. Morgen wird er mir den Mörder meines Vaters nennen.«
»Ich denke, den kriegst du erst über die Anwältin, wenn er frei ist.«
Sie lächelte. »So weit wird es nie kommen, Frank.«
»Ja, ich mache mir ein bisschen Sorgen, wir könnten das Blatt überreizen. Ich meine, wir haben echt niemanden eingeweiht. Erst holst du dir von ihm dieses Geständnis und jetzt hilfst du ihm, es auszuhebeln. Hast du wirklich vor, der Anwältin fünfzigtausend Euro zu überweisen?«
Ann Kathrin nickte. »Es ist bereits geschehen.«
Weller musste aufstoßen. Er blähte seine Wangen auf. »Ich brauche jetzt einen Espresso«, pustete er und schaltete die Maschine ein.
»Ich auch«, freute sich Ann Kathrin.
Der dicke Schal aus Handtüchern und Decken um die Tür reichte nicht mehr aus. Das Regenwasser lief als lange feuchte Zunge in die Küche. Die beiden bemerkten es zunächst nicht, so sehr waren sie mit sich beschäftigt.
Weller überschlug, wie lange er arbeiten musste, um bei dem, was ihm nach dem Unterhalt für Frau und Kinder blieb, fünfzigtausend Euro zusammenzukriegen.
Er wunderte sich. »Ich wusste gar nicht, dass du so viel auf der hohen Kante hast. Ich dachte, die Trennung hätte euch auch finanziell an die
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