Ostfriesengrab
Holzbrettchen Knoblauch in feine Scheiben. Sie wog ab, ob sie es schaffen könnte, bis zur Tür zu kommen. Es waren höchstens dreihundert Meter bis zur Hautklinik, schätzte sie. Aber wenn er sie verfolgen würde, hatte er gute Chancen, sie einzuholen.
Ruhig Blut, dachte sie. Dreh jetzt nicht durch. Warte noch. Bald werden draußen mehr Menschen sein. Jetzt schläft die Insel noch. In ihrer Phantasie erdolchte er sie auf dem Fluchtweg zwischen den Dünen.
Sie frühstückte noch mit ihm. Er aß genüsslich. Rühreier mit Speck und Krabben auf Schwarzbrot mit viel frischen Schalotten. Sie bekam kaum etwas runter, nippte nur an ihrem Kaffee, lobte aber seine Kochkünste.
Das Ferienhaus war gut ausgestattet. Mit einer großen Pfeffermühle ließ er schwarzen Pfeffer auf seine Rühreier regnen.
Der Geruch stieg ihr in die Nase. Überhaupt fand sie, dass hier so nah am Meer alles intensiver roch. Sie bildete sich ein, sogar seine Mordlust riechen zu können.
Sie kämpfte gegen das Gefühl an, sich übergeben zu müssen. Eine verräterische Träne löste sich aus ihrem linken Auge.
Er sah sie lange an, dann sagte er ruhig: »Ich kann Sie nicht gehen lassen, Frau Glück. Das wissen Sie doch.«
Sie sprang auf, griff mit der rechten Hand das Messer und schüttete ihm mit der linken den heißen Kaffee ins Gesicht. Dann warf sie den Tisch um und rannte zur Tür. Natürlich hatte er abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen.
Sie kreischte: »Hiiiilfeeeeee!«, und versuchte ein Fenster zu öffnen, um zu entkommen.
Da packte er sie von hinten. Er hob sie hoch und warf sie gegen die Wand. So viel Kraft hätte sie nicht in ihm vermutet.
Sie ging mit dem Messer auf ihn los.
Er wich ihr aus. »Tun Sie das nicht. Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Seien Sie lieber stolz auf sich. Sie werden ein Teil von etwas Großem.«
»Lassen Sie mich gehen!«, schrie sie.
»Wollen Sie Ihr erbärmliches Leben unbedingt weiterführen, mit einem Mann, der nicht wissen darf, was Sie tun?«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weiß er es?«
Er kam einen Schritt näher. Sie stieß mit dem Messer in seine Richtung. Er bekam ihre Hand zu fassen und bog sie nach hinten. Das Messer fiel auf den Boden.
»So ist brav«, sagte er sanft. »Jetzt wird alles gut.«
»Psst«, flüsterte Lars Gehrke und legte einen Zeigefinger über seine Lippen. »Sei ganz leise. Wir lassen Mama schlafen. Wir beide gehen an den Strand und schauen nach, ob unsere Sandburg noch steht.«
Lisa mochte es, wenn ihr Vater mit ihr flüsterte. Sie hatte gerne Geheimnisse mit ihm. Sie war verliebt in ihren Papa und hatte beschlossen, ihn später mal zu heiraten. Ihr Vater war stark, und auf seinen Schultern fühlte sie sich wohl.
Er half ihr beim Anziehen und bestand darauf, dass sie eine Mütze aufsetzte. Er erinnerte sie an die Mittelohrentzündung, die ihnen im letzten Jahr den Urlaub vermiest hatte. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Lisa hätte sich die Mütze auch so aufgesetzt, allein, um ihrem Papa zu gefallen.
Sie verließen die Ferienwohnung so leise, dass Mama nicht geweckt wurde.
Lisa hatte Durst, doch ihr Sunkist-Trinkpäckchen in ihrem Kinderrucksack war verklebt und leer.
Lars Gehrke nahm seine Tochter an die Hand. Sie gingen am menschenleeren Strand entlang in Richtung Weiße Düne. Lisa strahlte ihren Papa an. Sie wusste, dass es ihnen gut ging, wenn er diesen Gesichtsausdruck hatte. Hier am Meer, an diesem endlosen Sandstrand, war er ganz anders als sonst zu Hause. Weniger hektisch, nicht so schlecht gelaunt. Einfach mehr so, wie Papis sein sollten.
»Schau mal«, sagte er gegen den Wind. »Ich glaube, die Möwen da schlafen noch.«
Lisa staunte. Dort, wo die Dünen mit zusammengebundenen Ästen abgesichert worden waren, saß eine Gruppe Möwen im Kreis dicht zusammen. So viele Möwen auf einmal hatte sie bisher noch nicht gesehen.
Sie nickte ihrem Papa schelmisch zu. Er lächelte sein Einverständnis zurück. Dann pirschte sie sich langsam gebückt näher an die Möwen heran. Alle paar Meter sah sie sich um, ob ihr Vater noch da war. Es war wichtig für sie, dass er sie jetzt beobachtete.
Je näher sie kam, umso größer erschienen ihr die fetten Möwen. Einen Moment zögerte sie. Sie bekam fast ein bisschen
Angst vor den spitzen Schnäbeln. Da war eine, ganz außen, die hatte böse schwarze Augen. Doch Lisa glaubte nicht, dass irgendjemand es wagen würde, ihr ein Leid anzutun, wenn ihr Papa in der Nähe war. Keine Möwe, kein böser Mann,
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