Ostfriesengrab
Menschen vom Ordnungsamt erinnert. Hinter ihrem Scheibenwischer klemmte ein Knöllchen.
Sie steckte es in ihre Handtasche und nahm sich vor, den Kollegen in Wilhelmshaven einen saftigen Brief zu schreiben. Doch noch bevor sie den Schlüssel ins Schoss des grünen Twingo steckte, wusste sie, dass sie es nicht tun würde. Sie hatte für solchen Kleinkram überhaupt keine Zeit. Sie würde das Knöllchen bezahlen, und fertig. Hauptsache, sie war das Problem los.
Auf der Rückfahrt ließ sie das Gespräch noch einmal Revue passieren. Volker Bogdanski hatte ein Doppelleben geführt.
Hatte er sich die Frau von den Philippinen nur geholt, um eine offizielle Existenz zu haben? So konnte er jeder Behörde gegenüber erklären, wovon er lebte. Das war seine legale Biographie. Und gleichzeitig kassierte er Huren ab, lieferte sich Kämpfe mit anderen Zuhältern und plante mit seinen Komplizen einen großen Bankraub. Wer weiß, wie viele Überfälle sie sonst noch auf dem Gewissen hatten.
Die Männer, die ich suche, dachte sie, sind wie er. Sie haben garantiert alle so eine offizielle, tadellose Biographie. Familien, Kinder, Geschäfte, und dann gab es da noch diese andere Seite. Natürlich war es nicht schlimm, wenn der Esoladen nicht genug Geld einspielte. Diese Lücken konnte Bogdanski mit den anderen Einnahmen locker decken. Der Esoladen war nichts weiter als ein offizielles Aushängeschild. Nie als profitables Unternehmen gedacht oder geplant.
Sie suchte Leute, die die Tünche der Normalität als perfekte Tarnung benutzten. Denen war alles recht. Eine intakte Familie oder ein Esoladen. Hauptsache, sie entsprachen damit nicht dem Bild des Bankräubers.
Plötzlich erschrak sie. Hatte ihr Vater auch dazu gehört? Waren sie und ihre Mutter auch nur Teil seiner offiziellen Biographie? All die vielen Überstunden, waren die real oder hatte er sich dann mit dunklen Freunden und Komplizen herumgetrieben?
Ann Kathrin schüttelte sich. Nein, das wollte sie nicht denken. Ihr Vater war nicht wie dieser Bogdanski. Trotzdem nahm sie sich vor, ihre Mutter zu besuchen. Sie musste mehr über ihren Vater erfahren, um seinen Mördern näher zu kommen.
Mit seinem gewinnenden Lächeln nahm er Verena Glück sofort für sich ein. Alle Scheu verflog in Sekunden. Er hatte etwas von Peter Kron an sich. Sie wusste sofort, dass sie sich gut verstehen würden. Garantiert war er ein guter Koch. Gleich am ersten Abend bezauberte er sie mit seiner Krabbensuppe und einem
leichten Weißwein, vielleicht eine Spur zu kühl, dann gab es einen angeblich selbst gefangenen Zander, im Salzteig gegart.
Die Art, wie er die Augen schloss und sich ganz auf seinen Geruchssinn konzentrierte, als er den Salzmantel brach, fand sie zum Verlieben. Dazu reichte er einen trockenen Rotwein aus Sizilien.
Sie aß mehr als üblicherweise, aber er gab an, sie auch deswegen ausgewählt zu haben, weil er diesen Hungerhaken nichts abgewinnen könnte. Das gab ihr die Freiheit, trotz des bevorstehenden Fotoshootings noch von der eingelegten Birne mit Mandeln zu probieren.
Er hatte es überhaupt nicht eilig. Er wies ihr ein kleines Zimmer in der Ferienwohnung zu und erklärte ihr seine Pläne. Er wollte sie ablichten, als sei sie ein Urwesen aus der Tiefe. Mit der Landschaft sollte sie verschmelzen, eins werden mit den Elementen. Sie lachte, sie konnte sich darunter nichts vorstellen, aber er hatte alles schon ganz klar im Kopf. »Es soll aussehen, als ob Ihr Körper aus den Dünen geboren wird.«
Er bat sie, sich am ganzen Körper zu rasieren. Er hatte ihr verschiedene Rasierapparate und Spraydosen mit Rasierschaum ins Badezimmer gestellt. Ja, so aufmerksam war er. Es hätte ja sein können, dass sie gegen einen bestimmten Schaum allergisch gewesen wäre, darum gab es verschiedene Sorten. Auf keinen Fall sollte ihre Haut gereizt werden.
Sie glaubte zunächst, dass er ihr dabei zusehen wollte, aber das unterschied ihn von Peter Kron. Er wollte sie nicht bei so profanen Handlungen ablichten. Ihn interessierte nur die künstliche, von ihm geschaffene Welt. Sie war erleichtert, als er das Badezimmer verließ und klarstellte: »Lassen Sie sich Zeit. Sie können das auch morgen machen. Keine Angst, ich will Ihnen nicht dabei zusehen. So einer bin ich nicht.«
»Aber … wie kommen Sie darauf, dass ich so etwas denken könnte?«, fragte sie, als sei es völlig absurd.
Er lächelte milde: »Ich habe es Ihnen an der Nasenspitze angesehen.«
Inzwischen war es dunkel geworden.
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