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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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kein anderes Kind.
    Sie breitete die Arme aus und lief mit Löwengebrüll auf die Möwentraube zu. Die flatterten gleich kreischend hoch. Zwei verloren vor Schreck ihren Kot.
    Lisa fühlte sich großartig und tanzte jetzt auf der Stelle herum, an der vorher noch die Möwen gesessen hatten.
    Doch da bewegte sich etwas im Dünengras. Ein Kaninchen! Lisa sank bis zu den Knien im Sand ein, als sie versuchte, hinter dem Tier die Düne hochzustapfen. Dann erreichte sie die Spitze. Das Kaninchen war längst weg. Lisa winkte ihrem Vater zu, der jetzt so klein war wie ihr Daumen.
    Er winkte zurück, aber gegen den Wind konnte sie seine Ermahnung nicht hören: »Nicht in die Dünen, Süße! Komm wieder zurück!« Sie war der Überzeugung, dass er ihr folgen würde, hier hinein in diese Welt. Sie war glücklich und sie beschloss, sich zu verstecken. Ja. Er sollte sie suchen. Das war ein schönes Spiel.
    Schon lief er in ihre Richtung. Sie legte sich ins Dünengras und sah ihn näher kommen. Nein, so einfach wollte sie es ihm nicht machen. In ihrer Phantasie musste dort, weiter hinten, ein Kaninchenbau sein. Vielleicht konnte sie sich darin verstecken.
    Sie lief weiter. Dann stolperte sie und rutschte ein Stückchen im Sand bergab. Da hinten war ein Haus. Sie kannte es. Dort gab es das gute Eis. Es wurde auf der Insel von einem Konditor selbst gemacht, hatte Mama ihr erzählt. Dort in der Weißen Düne saßen ihre Eltern manchmal am Kamin und frühstückten, bis andere zu Mittag aßen. Ihre Mama schlief gerne lang, und ihr Vater hatte gern eine ausgeruhte Frau.
    Draußen in den Strandkörben hatte sie oft gesessen und sich
von ihrem Vater Geschichten vorlesen lassen. Die von Jenny und den Seeräubern mochte sie besonders gern. Sie träumte dann davon, dass sie die kleine Jenny sei und den Piraten Lesen und Schreiben beibrachte.
    Gleich würde Papa sie finden und dann mit ihr ins Restaurant gehen, um einen Ostfriesentee zu trinken. Er konnte hier nicht vorbeigehen, ohne seinen Tee zu nehmen.
    Dann sah sie etwas Merkwürdiges. Etwas Haariges. Konnte das ein Tier sein? Welches Tier hatte so lange blonde Haare? Oder hatte sich eine Perücke in den Sträuchern verfangen?
    Vorsichtig, um das Tier nicht zu erschrecken, näherte sie sich.
    Wenn das eine Perücke ist, dachte sie, dann werde ich sie aufsetzen und Papa damit erschrecken.
    Doch dann, als sie das Gesicht der Frau sah, wusste sie sofort, dass sie tot war.
    Sie hatte noch nie eine Tote gesehen. Als Oma gestorben war, hatten Mama und Papa entschieden, sie solle ihre Oma so in Erinnerung behalten, wie sie gelebt hatte, und sie durfte sich die tote Oma in der Leichenhalle nicht anschauen.
    Drei dicke Möwen saßen bei der Toten. Zunächst konnte Lisa nicht mal schreien. Doch dann, als sie endlich genug Luft zusammen hatte, kreischte sie so sehr, dass die Möwen aufflatterten und das Weite suchten.
    Lars Gehrke hörte den Schrei seiner Tochter, denn der Wind kam von Land her und trug die schrecklichen Töne zu ihm herüber. Er rannte, wie er noch nie im Leben gerannt war. Dabei brüllte er ihren Namen. Er sah die Möwen aufflattern und hoffte, sich zu irren. Vielleicht war es nur der Schrei einer Möwe.
    Als das Kreischen in ein Wimmern überging, begriff er, dass sie es sein musste.
    Er sah sich schon mit ihr in einem Hubschrauber sitzen und zum Festland in ein Krankenhaus fliegen. Er hatte Angst, dass
seine Frau ihm Vorwürfe machen würde. Warum hatte er Lisa alleine in die Dünen gelassen? Es stand überall, dass so etwas verboten war.
    Dann erreichte er seine Kleine. Sie hockte neben einer Frauenleiche.
    Er riss Lisa vom Boden hoch, drückte ihren Kopf an seine Brust und flüsterte immer wieder: »Ich bin ja da. Papa ist ja da. Keine Angst, dir wird nichts passieren. Schau nicht hin.«
     
    Weller freute sich auf Ann Kathrin. Sein Nachtdienst war vorüber. Er saß vor dem Computer und stöberte voller Vorfreude in Kochrezepten herum. Gleich würde er in der Markthalle einkaufen gehen und heute Mittag etwas ganz Besonderes für sie zaubern. Er schwankte noch zwischen Fisch und Lamm, obwohl für ihn, den Fischfan, eigentlich alle Entscheidungen im Vorfeld bereits gefallen waren. Doch er wollte nicht als langweilig gelten und ihr auch mal etwas anderes bieten. Karree vom Deichlamm vielleicht?
    Der Anruf aus Norderney machte alle Pläne zunichte.
    Zwanzig Minuten später saßen sie gemeinsam im Hubschrauber. Rupert. Abel. Reuters und er.
    Weller überlegte, ob er Ann Kathrin

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