Ostfriesengrab
informieren sollte. Tat er es nicht, wäre sie später sauer auf ihn. Wenn er es aber machte, wurde der Konflikt offensichtlich: sie war vom Dienst beurlaubt.
Weller hatte sich bei Ubbo Heide dafür eingesetzt, Ann Kathrin hinzuzuziehen.
»Es ist ein Unterschied, ob wir hier gemütlich unser OMA -Blatt runterzocken oder ob uns einer eine Leiche vor die Haustür gelegt hat. Das ist das ganz große Spiel, da möchte ich sie doch gerne dabeihaben.«
Ubbo Heide schüttelte nur stumm den Kopf.
Schon beim ersten Blick auf die Leiche waren sich alle Beteiligten einig: Der Friseur hatte wieder zugeschlagen.
Die Haare der Leiche verwoben mit dem Sanddornstrauch, hineingekämmt, als ob der Strauch aus ihr herauswachsen würde.
»Garantiert finden wir auch hier wieder Haarspray«, vermutete Weller.
Heiko Reuters hatte Mühe, den Fotoapparat hochzuhalten. Seine Hände zitterten.
Auf den ersten Blick war die Leiche gar nicht vollständig sichtbar. Der Täter hatte sich viel Mühe gegeben, ihren nackten Körper mit einer Sandschicht zu bedecken, sodass die Haut noch hindurchschimmerte, als hätte sich die Tote aus der Tiefe der Düne nach oben durch den Sand gedrückt. Oder als sei sie durch den Sanddornstrauch an den Haaren aus dem Inneren der Erde hochgezogen worden.
Zwei uniformierte Kollegen aus Norderney kümmerten sich um Lars Gehrke und seine Tochter Lisa. Die Kleine saß mit den Beinen wippend, als sei nichts geschehen, mit einer Tasse Trinkschokolade im Strandkorb. Der Vater wirkte erschütterter als das Kind.
Ein Kollege aus Norderney stellte sachlich fest: »Dies ist einer der schönsten Plätze der Insel. Manche behaupten, es sei der schönste Sandstrand der Welt. In einer knappen halben Stunde geht hier richtig der Betrieb los. Was sollen wir machen? Weiträumig absperren? Die Tote wegbringen? Das Ganze ist eine Katastrophe für die Insel. Wer macht schon gerne Urlaub, wo ein irrer Mörder seine Opfer sucht?«
»Wissen wir schon, wer sie ist?«, fragte Rupert.
»Nein.«
»Ich wette, wir finden hier ganz in der Nähe ein Päckchen, darin sind ihre Kleider. Frisch gewaschen und gebügelt. Ihren Personalausweis und alles, was wir sonst noch brauchen.«
Abel stimmte zu: »Ja, da hast du recht. Ich glaube, ich kann das Päckchen von hier aus sehen.«
Es lag oben auf dem Dach des Restaurants.
Klar, dachte Weller. Hier ist kein Baum und keine weitere erhöhte Stelle. Er hat das Päckchen von der Düne aus einfach aufs Dach geworfen.
Minuten später wussten sie, dass es sich bei der Leiche um die sechsundzwanzigjährige Verena Glück aus Hesel handelte.
Erst jetzt informierte Weller Ann Kathrin knapp per SMS :
Er hat es wieder getan.
Dann rief Weller Ubbo Heide an und gab einen ersten Situationsbericht durch.
»Es ist ganz klar der Friseur. Es sieht alles anders aus, aber ein paar unverwechselbare Fakten stimmen. Ihre Kleider liegen in einem Päckchen. Er hat sie in die Landschaft hinein inszeniert, als sei das Ganze hier ein Vorschlag von Schlimmer Wohnen oder Mein Garten oder wie diese Blätter heißen.«
Ubbo Heide verstand die Anspielung nicht und führte es nur auf Wellers verwirrten Gemütszustand zurück.
»Wenn das wieder Meuling war«, konstatierte Ubbo Heide, »haben wir zum zweiten Mal einen Mord möglich gemacht. Einmal haben wir die Warnungen nicht ernst genommen und beim zweiten Mal haben wir ihn laufen lassen. Ich werde dafür die Verantwortung übernehmen und um meine Entlassung bitten.«
»Wie – um deine Entlassung bitten? Spielen wir hier Kabinettssitzung oder was? Wir müssen den Typ hoppnehmen. Sofort. Und am besten auch seine Anwältin. Die kann jetzt nicht länger seinen Aufenthaltsort geheim halten. Jetzt wird das Spiel nach unseren Regeln gespielt«, schimpfte Weller.
Ubbo Heide schwieg. Er nahm zur Kenntnis, dass seine Kollegen hinter ihm standen und niemand seine Entlassung wollte,
obwohl das den Beförderungsstau gelockert hätte. Statt sich zu freuen, empfand er das als Druck.
Weller fragte: »Was schlägst du vor? Soll ich sie festnehmen oder was?«
»Das ist doch endlich mal eine gute Idee. Erst sie und dann ihn. Damit sie keine Chance hat, ihn zu warnen.«
Noch bevor Weller das Telefongespräch mit Ubbo Heide beendet hatte, versammelte sich eine Menschentraube bei den Dünen. Ein Gast hatte es per SMS weitergegeben, und schneller als die Flut den Stand erreichte, wusste fast jeder Tourist auf Norderney, dass dort oben bei der Weißen Düne etwas Schreckliches
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