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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Modell sitzen?«
    Noch vor wenigen Tagen hätte Ann Kathrin kopfschüttelnd geantwortet, für so etwas habe sie keine Zeit. Aber dieses Argument zählte jetzt nicht mehr.
    Sie sah ihn nur groß an.
    Der Magenbitter kam. Er roch ein bisschen nach klarem Schnaps, Kräutern und Lakritze. Er erinnerte sie an die Hustenbonbons ihres Vaters. Manchmal hatte sie einen rauen Hals vorgetäuscht, nur um Papa eines abzuluchsen.
    Der Schnaps schmeckte ihr.
    »Ich würde dir einen Sonderpreis machen«, bot Heiner Zimmermann an.
    »Was kostet so was denn?«
    »Das kommt auf die Größe an. Du willst natürlich kein kleinformatiges Bild, stimmt’s? Am besten wäre eines in Lebensgröße.«
    Ann Kathrin zog die Augenbrauen hoch. »Lebensgröße?«
    Zimmermann verzog den Mund. »Na gut. Aber mindestens eine Leinwand von eins zwanzig mal achtzig. Also ungefähr so.« Er deutete das Format mit den Händen an. »Sagen wir, fünfhundert.«
    »Fünfhundert Euro?«
    »Das ist ein Super-Sonder-Freundschaftspreis. Eine einmalige Anschaffung. Du wirst noch in zwanzig, dreißig Jahren Freude daran haben.«
    »Und wenn es mir nicht gefällt?«
    Er sah ihr offen in die Augen. Er strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein. »Es wird dir gefallen!«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann musst du es nicht kaufen. Dann behalte ich es gerne.«
    »Und was tust du dann damit?«
    Er lachte. »Na, ich verkaufe es natürlich. Für den vier- bis fünffachen Preis. Wollen wir wetten?« Er hielt ihr die offene Hand hin.
    »Wann können wir anfangen?«, fragte sie.
    »Meinetwegen schon morgen. Jedenfalls sollten wir rasch beginnen, damit die Farbe noch vor seinem Geburtstag trocken wird.«
    Jetzt wagte sie die Frage: »Wann ist der eigentlich genau?«
    »Nächste Woche Freitag.«
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.«
    »Dann sollten wir wirklich so bald wie möglich anfangen. Wie viele Stunden dauert das denn? Wie lange muss ich denn so gerade sitzen? Kriege ich dabei einen steifen Hals?«
    »So viele Fragen, doch die Antworten zeigen sich ohnehin erst in der Praxis. Meinetwegen können wir sofort beginnen.«
    Für einen Moment war sie sprachlos. »Ist das dein Ernst? Sofort?«
    »Warum nicht? Ich muss ohnehin erst ein paar Skizzen machen. Die richtige Haltung aussuchen … «
    »Nein, heute passt es mir überhaupt nicht.«
    Sie trank ihre Altbierbowle leer, dabei legte sie den Kopf in den Nacken. Die Früchte fielen ihr auf die Lippen. Sie riss den Mund weit auf, um zu schlucken. Mit vollem Mund musste sie wenigstens nicht sprechen, sondern konnte sich überlegen, was sie als Nächstes sagen würde.
    »Wir haben schon längst mit der Arbeit begonnen, Ann Kathrin, denn bevor ich dich male, muss ich mir ein Bild von dir machen. Ich muss dein Wesen begreifen. Das soll ja mehr sein als nur eine Abbildung der Oberfläche. Frank soll es sehen und sagen: Ja. Genau so ist sie. Meine Ann Kathrin. Die Frau meines Lebens!«
    »Schau mich nicht so an! Die Leute denken ja, du bist verknallt in mich.«
    »Ich muss mich ein bisschen in dich verlieben. Das gehört dazu. Wie soll ich dich sonst malen?«
    Ann Kathrin schüttelte über sich selbst den Kopf. Worauf lasse ich mich da bloß ein …
    Sie saß ihm an diesem Abend noch nicht Modell. Sie wollte erst noch eine Nacht darüber schlafen und dann nüchtern und mit kühlem Kopf entscheiden. Aber sie begleitete ihn in sein Atelier an der Norddeicher Straße. Es war ein kleiner, typisch ostfriesischer Backsteinbau. Den Dachboden hatte er zu einem lichtdurchfluteten Atelier ausgebaut. Es roch angenehm nach Ölfarben und Firnis. Da er bei der Arbeit unablässig rauchte, standen an allen strategisch wichtigen Punkten Blechdosen, die er zu Aschenbechern umfunktioniert hatte.
    Sie fragte sich, wie er überhaupt hier wohnen konnte, zwischen all den Bildern. Mindestens ein Dutzend, teilweise großformatige Werke, standen an jeder Wand aneinandergelehnt. An allen Möbelstücken klebte Ölfarbe. Der Boden war vollgekleckert und wirkte selbst wie ein Kunstwerk.
    Es gab Skulpturen in allen Größenordnungen. Frauenakte aus Fimo oder Ton geknetet und in Gips modelliert. Ein lebensgroßer weiblicher Akt saß auf dem Stuhl. Die Frau sah so aus, als würde sie eifersüchtig den Eingang zum Schlafzimmer von Heiner Zimmermann bewachen.
    Zimmermann zeigte Ann Kathrin seine Aktbilder. Sie erschrak ein bisschen. Die Frauen darauf wirkten so echt, so lebendig, als könnten sie jeden Moment lächeln, ein paar Sätze zu ihr sagen oder auch einfach von der

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