Ostfriesengrab
sie, dass es andere Möglichkeiten gibt, es zu spüren.«
Er hat tatsächlich
wir
gesagt, dachte Ann Kathrin. Als
wir
das Bild gemalt haben.
»Aktmodell stehen, um schneller abzunehmen?«, lachte Ann Kathrin. »Das ist nicht dein Ernst!«
Wieder fühlte er sich missverstanden und sah aus wie ein kleiner Junge, der tolle Ideen hat, aber dem es nicht gelingt, sie den Erwachsenen plausibel zu machen.
»Ganz und gar nicht, Ann Kathrin. Es ist wohl eher so, dass sie jetzt jedes Pfund an sich liebt. Und über die armseligen Hungermodelle in den Illustrierten nur lacht, statt ihnen nachzueifern.«
Das nächste Bild zeigte eine Frau mit wundervollen Speckrollen, durchs Licht besonders in Szene gesetzt, ihr breiter Hintern schien aus dem Bild zu ragen, als würde sie jeden Moment einen Furz lassen. Eine Hand in die Hüften gestemmt, drehte sie den Kopf kokett nach hinten und winkte mit erhobenem Zeigefinger, als wollte sie jemandem ein schlechtes Gewissen machen, der auf ihren Po guckte.
»Das ist Roswitha Keller«, lachte Heiner Zimmermann. »Das Bild habe ich nach der Scheidung von ihr gemalt. Sie ließ das Alte zurück und lief neuen Abenteuern entgegen. Leider hat sie kurz danach der Krebs geholt.«
»Das kann man auf dem Bild aber nicht sehen«, sagte Ann Kathrin und war sich nicht im Klaren darüber, dass sie Heiner Zimmermann damit fast beleidigte.
»Wenn man Augen hat, schon. Aber die meisten gucken nur auf ihren göttlichen Arsch. Sie hatte ein gebärfreudiges Becken, hat aber nie Kinder zur Welt gebracht.«
Ann Kathrin wandte sich ab. Sie wollte das Bild nicht länger sehen. Etwas daran störte sie. Sie beschloss, jetzt zu gehen. »Es wird Zeit für mich.«
»Warum? Wartet Frank auf dich?«
Ann Kathrin zuckte mit den Schultern. Irgendetwas sagte ihr, dass Heiner Zimmermann genau wusste, dass Frank Weller heute Nacht nicht in den Distelkamp zurückkehren würde. Der Mord an Verena Glück erforderte seine Anwesenheit in Aurich oder auf Norderney.
Ann Kathrin Klaasen wandte sich zur Tür.
»Überstürze nichts. Solche Dinge brauchen Zeit. Aber ich glaube, du bist schon längst so weit. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Es muss ja kein Geburtstagsgeschenk für ihn werden. Schenke es dir lieber selbst. Es ist eine ganz besondere Erfahrung im Leben, das können dir all diese Frauen bestätigen.«
Ann Kathrin lachte ein bisschen zu aufgesetzt. »Du meinst, wie Bungee-Jumping oder barfuß über glühende Kohlen laufen?«
»Ja. Nur intensiver, glaube ich. Tiefgreifender. Und es hält viel länger an.«
»Na, wenn du meinst … « Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Er ging ihr zur Tür voran. »Darüber will ich nicht mit dir streiten. Das ist unsinnig. Es gibt Dinge, die kann man nicht theoretisch kennenlernen, sondern nur praktisch erfahren. Wenn du hundert Bücher über Yoga liest, bringt dich das längst nicht so weit wie die erste Makarasana-Übung. Ein Kenner kann wahrscheinlich Mozarts Notenblätter mit Gewinn lesen. Aber wie wundervoll ist es, wenn der erste Ton wirklich erklingt.«
Er machte jetzt das Requiem nach und dirigierte mit den Fäusten mit. »Dadadada … «
Sie wunderte sich, dass er dieses Werk gewählt hatte. Zum Abschied gab sie ihm die Hand und sah sich noch einmal in diesem Raum voller Farben um. Es war, als hätte er sie in ein Geheimnis eingeweiht, das sie jetzt für sich behalten musste. Wie sollte sie beim nächsten Mal reagieren, wenn sie Gisela im Combi an der Kasse sah?
»Wir müssen Frank nichts davon erzählen«, flüsterte er und kam ihr dabei so nah, dass sie seinen Nikotin- und Rotweinatem roch. »Wir wollen doch die Geburtstagsüberraschung nicht kaputt machen«, vervollständigte er seinen Satz. »Ich erwarte dich morgen zwischen elf und zwölf Uhr zum Frühstück.«
Sie wehrte halbherzig ab. »Ich habe noch nicht zugesagt.«
»Jaja. Aber ich warte hier. Zwischen elf und zwölf. Falls du dir ein Herz fasst – Tee, Kaffee, Croissants, Brötchen? Ein schönes Baguette von Remmers? Womit könnte ich dir sonst noch eine Freude machen?«
Ann Kathrin hörte sich sagen: »Kaffee von frisch gemahlenen Bohnen. Nicht zu stark. Fettarme, warme Milch. Nussschinken und ein heißes Baguette. Ein bisschen Sanddornmarmelade und Quark wären auch nicht schlecht.«
Er grinste sie breit an. Sie rechnete jetzt mit irgendeinem blöden Spruch wie: »Du weißt aber genau, was du willst, Frau Kommissarin«, oder »Ich wusste gleich, dass du eine anspruchsvolle Frau
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