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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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wollte sich ihr Fett von den Hüften absaugen und die Brust anheben lassen, und ich habe versucht, ihr zu zeigen, wie das ist, wenn Körper und Seele nicht mehr wirklich zusammenpassen.«
    »Modell stehen als Therapie?«, fragte Ann Kathrin und wäre am liebsten wieder gegangen.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Es geht nur darum zu erkennen, wer man ist. Sich dann anzunehmen und es zu sein. In dir sehe ich eine Suchende, Ann Kathrin. Ja, etwas von dir ist auf der Suche. Ich weiß nicht, wonach. Die meisten Menschen laufen auf der Suche nach sich selbst vielen Trugbildern hinterher. Einige glauben, sie finden sich im Sonderangebot auf dem Wühltisch im Kaufhaus. In einer seltenen Briefmarke, die sie ihrer Sammlung einverleiben wollen, oder auf dem Hochsitz, wenn sie auf ein grasendes Reh schießen.«
    »Genug geredet«, sagte Ann Kathrin. »Bringen wir es hinter uns.«
    Sie ging noch einmal zur Toilette, dann brachte er sie hoch in sein Atelier.
    Das ganze Haus war gut geheizt. Sie verstand ohne ein Wort. Er wollte nicht, dass sein Modell fror.
    Er hatte ein Setting aufgebaut, das er sich für Ann Kathrin ideal vorstellte. Eine Ecke des Zimmers war mit schwarzem Samt ausgelegt. Ein achtarmiger Kerzenständer mit unterschiedlich großen dicken weißen Kerzen, an denen kalt gewordenes Wachs in langen Tropfen herunterhing, störte Ann Kathrin nicht, aber der Kindersarg ließ sie zurückschrecken.
    »Was soll das denn? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich da reinlege?«
     
    »Wir können alles ganz anders machen«, sagte er. »Das ist nur ein Vorschlag von mir. Außerdem würdest du gar nicht hineinpassen. Ich dachte, du stellst dich hinein, Ann Kathrin.«
    Etwas in ihr protestierte und forderte sie auf, dieses Atelier sofort zu verlassen. Aber da war auch eine Kraft, die darauf bestand, jetzt nicht zu kneifen.
    Sie stieg drauf ein. »Okay, Heiner. Aber warum? Was soll das?«
    »Es symbolisiert das Erwachsenwerden. Die erwachsene Frau, die voll im Leben angekommen ist, aber mit beiden Füßen immer noch in ihrer Kindheit steht. Trauern wir nicht alle um das tote Kind in uns?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das Kind in mir lebt. Manchmal sogar ganz heftig. Mein Ex hat mir immer vorgehalten, dass ich von dem Kind in mir dominiert werde.«
    »Und es war schwer für ihn, das auszuhalten, stimmt’s?«
    Sie nickte. »Er hat mir sogar vorgeworfen, dass ich Bilderbücher sammle.«
    »Aber es umgibt dich manchmal eine merkwürdige Aura des Todes«, sagte Zimmermann ernst und sah vor sich. Dann baute er einen Paravent aus Holz und japanischem Seidenpapier auf, hinter dem sie sich umziehen konnte.
    »Ich soll mich also da reinstellen?«
    »Es ist einen Versuch wert. Du wirst sehr schnell spüren, ob es für dich stimmt oder nicht.«
    Zunächst stellte sie sich noch komplett angezogen in den Kindersarg. Heiner Zimmermann fand das in Ordnung, nahm einen Skizzenblock und begann mit Kohle zu zeichnen. Sie war sehr dankbar, dass er bis jetzt noch nicht geraucht hatte. Morgens hasste sie Zigarettenqualm besonders.
    »Ich brauche ohnehin erst deine Augen. Deine Augen sind das Wichtigste. Von da aus geht es weiter. Die Augen sind die Fenster der Seele.«
    Ann Kathrin stand erst seit wenigen Sekunden in diesem Kindersarg, und sie hatte es eigentlich nur gemacht, um ihm einen Gefallen zu tun und um zu beweisen, dass dies wirklich die falsche Position für sie war, doch jetzt veränderte sich alles. Sie spürte, dass ihre Augen feucht wurden.
    »Es ist nicht das Kind in mir, das gestorben ist«, sagte sie. »Was du spürst, ist, dass ich den Tod meines Vaters mit mir herumtrage. Ich bin seinem Mörder auf der Spur, und eigentlich sollte ich gar nicht hier sein, sondern … «
    Sie stieg aus dem Sarg und tupfte sich das Wasser aus den Augen.
    »Es muss dir nicht peinlich sein. Viele weinen dabei. Manchmal kommt es zu einem Wechselbad der Gefühle. Erst Weinen, dann Lachen. Genier dich nicht. Mir ist nichts fremd, glaub mir.«
     
    Rupert telefonierte, und so, wie sich seine Körperhaltung in den letzten Sekunden verändert hatte, wusste Weller sofort, dass sie einen heißen Hinweis bekommen hatten. Rupert sah aus wie ein Jagdhund, der die Witterung aufgenommen hat.
    »Buchstabieren Sie noch einmal.«
    Rupert schrieb mit. Dann legte er den Stift hin und überprüfte unwillkürlich den Sitz seiner Waffe.
    So nah sind wir also dran, dachte Weller.
    »Bingo«, grinste Rupert. »Das nenne ich mal einen Glückstreffer.«
    Weller wusste,

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