Ostfriesengrab
einen verkniffenen Zug.
»Heb die Ellbogen ein bisschen an, das glättet auch die Stirn.«
Wieder hatte er recht. Sie staunte über sich selbst. Er zeigte ihr Zusammenhänge ihres Körpers, die sie selber nicht kannte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er ihr seine Erfahrungen mitteilte, machte alles viel leichter für sie.
Sie stand jetzt mit dem rechten Fuß im Kindersarg, mit dem linken berührte sie den schwarzen Samt, der auf dem Boden ausgebreitet war.
Heiner Zimmermann ging auf die Knie und betrachtete sie von unten aus verschiedenen Perspektiven.
»Das, was du suchst, Ann Kathrin, ist das eher über dir? Unter dir oder hinter dir?«
»Ich suche den Mörder meines Vaters«, sagte sie, und es tat ihr gut. Es endlich genau so zu benennen. Ja. Sie stand dazu. Sie suchte den Mörder ihres Vaters. Nichts war wichtiger. Ihr Lebensglück
würde sie erst finden, wenn sie dieses Schwein erlegt hätte.
Ich suche ihn überall, wollte sie sagen. Wieso über mir? Wieso unter mir?
Aber in dem Moment spürte sie es wie einen fremden Blick im Rücken. Ein Schauer lief ihr zwischen den Schulterblättern hinunter und sie stellte fest: »Hinter mir.«
Er kroch auf allen vieren um sie herum, setzte sich dann auf den Boden und sah sie von links hinten an. »Wende dein Gesicht ein bisschen, so als wüsstest du, dass du es gleich sehen kannst.«
»Du meinst den Mörder meines Vaters?«
»Ja.«
Ann Kathrin drehte ihren Kopf zur linken Schulter und sah hinter sich.
»Ja! Ja! Das ist es! So werde ich dich malen.«
Unten an der Tür klingelte jemand. Ann Kathrin zuckte zusammen und sah sich nach ihren Kleidern um.
»Keine Angst«, beruhigte Heiner Zimmermann sie. »Ich mach jetzt nicht auf. Nichts ist wichtiger als das, was wir jetzt hier tun. Der Rest der Welt muss warten.«
Der Rest der Welt war allerdings nicht ganz so geduldig. Das Haus in der Norddeicher Straße war von einem Sondereinsatzkommando umstellt.
Rupert hätte die Tür am liebsten selbst eingetreten, aber das taten zwei Kollegen für ihn, die besonders dafür ausgebildet waren. Sie sahen aus wie moderne Ritter, mit Helmen und kugelsicheren Anzügen. Zwischen ihnen wirkten Rupert und Weller wie übrig gebliebene Bewohner einer untergegangenen Zivilisation.
Die maskierten Schwarzhelme stürmten das Haus. Direkt hinter ihnen folgten Rupert und Weller. Dann Heiko Reuters mit schussbereitem Fotoapparat.
Als die Haustür aufflog, hörte es sich für Ann Kathrin an wie ein Verkehrsunfall direkt im Vorgarten, als sei ein Lkw gegen die Hauswand gefahren und hätte sie zum Einsturz gebracht.
Durch ein Megaphon forderte Ubbo Heide mit blechern verzerrter Stimme: »Das Haus ist umstellt! Jeder Widerstand ist zwecklos. Ergeben Sie sich und kommen Sie mit erhobenen Armen raus!«
Staatsanwalt Scherer stand neben ihm und spottete schon jetzt: »Das alles hier macht einen völlig unkoordinierten, hektischen und wenig professionellen Eindruck. Wieso stürmen Sie erst das Haus und fordern ihn dann auf, mit erhobenen Armen herauszukommen? Weller und Rupert haben die Tür doch schon eingeschlagen.«
»Das waren sie nicht, das war … «
Ubbo Heide zuckte zusammen. Er hörte Ann Kathrins Kreischen.
»Ihr Schweine! Was wollt ihr hier? Dreht euch um!«
Die zwei Kreuzritter vom Mobilen Einsatzkommando, die zuerst die Treppe hochgestürmt kamen, wären durchaus in der Lage gewesen, mit einem bewaffneten, um sich schießenden Schwerkriminellen fertig zu werden. Aber eine kreischende nackte Frau hatten sie nicht erwartet. Und der langhaarige Mann in Jeans und Baumwollhemd hob sofort seine Hände und sagte: »Peace, Brüder.«
Weller spürte einen Stich im Herzen. So muss sich ein Herzinfarkt anfühlen, dachte er. Ihm wurde augenblicklich schlecht. Er fuhr Rupert an: »Hast du nicht gehört, du sollst dich umdrehen! Und ihr auch, verdammt nochmal!«
Man kann viel von einem Mobilen Einsatzkommando erwarten, aber nicht, dass sich die Spezialkräfte umdrehen und wegschauen, wenn sie eine Wohnung stürmen.
Ann Kathrin wollte hinter dem Paravent verschwinden, dabei
stolperte sie über den Kindersarg und knallte lang hin. Wie eine Katze sprang sie auf und hechtete zum Paravent.
Heiner Zimmermann stand starr, mit erhobenen Händen und versuchte, alle zu beruhigen. »Bitte. Ihre Waffen machen mich nervös. Können Sie nicht woandershin zielen? Ich mache uns jetzt allen in Ruhe einen Tee und dann überlegen wir mal, was hier eigentlich los ist.«
»Halt die
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