Ostfriesengrab
dass Rupert jetzt ein paar Sekunden brauchte, um den Wissensvorsprung zu genießen. Er machte es gerne spannend, aber dann würden sie gemeinsam zuschlagen. Jedenfalls würde aus dem gemeinsamen Mittagessen mit Ann Kathrin
bei Minna am Markt in Norden heute sicherlich nichts werden.
Ruperts Gesichtszüge waren plötzlich angespannt, ja verzerrt. Er drückte einen waffenscheinpflichtigen Furz ab. Dann entspannte sich sein Gesicht zu einem Lächeln.
»Rate mal, wer zwanzig von diesen Scheißstangen gekauft hat, mit denen der Friseur diese Mareike Henning aufgespießt hat. Die Duisburger Kollegen haben jetzt die vollständige Lieferliste. Sie besuchen noch heute ein paar Fitnessstudios und und und. Aber es gibt nur einen Privatmann, und der wohnt ganz in unserer Nähe.«
Weller wedelte sich mit einer Akte frische Luft zu. Rupert klickte noch einmal die Bilder an. Weller hasste diese Art von Rupert. Zu gerne begann er bei Dienstbesprechungen mit »Rate mal … «. Fast jedes Mal wurde er von Ubbo Heide oder Ann Kathrin Klaasen zurechtgewiesen. Doch Rupert konnte nicht anders. Er musste seinen Wissensvorsprung ausspielen.
Vielleicht, dachte Weller, wäre aus ihm ein besserer Quizmaster geworden als ein Kripobeamter.
Rupert tippte auf das Bild vom Lütetsburger Park.
»Der kleine Dicke?«, fragte Weller. »Woher hast du seinen Namen?«
Rupert lachte laut auf. »Nein. Der andere.«
»Heiner?«
»Ja. Dein alter Freund Heiner Zimmermann.«
Rupert öffnete seinen Schreibtisch und nahm mit bedeutender Geste und übertriebener Entschlossenheit ein zweites Magazin für seine Dienstwaffe heraus.
»Wie soll ich denn das versehen? Willst du ihn abknallen, oder was?«
»Dein bester Freund malt nicht nur schöne Blumenbilder, die dann von der evangelischen Kirchengemeinde versteigert werden, mein Lieber. Seine Haupteinnahmequelle sind nackte
Weiber in allen Posen.« Rupert klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Wir hätten gleich drauf kommen können. Irgend so ein Perverser. Natürlich! Was denn sonst?«
»Nur, weil wir Meuling nicht kriegen, wird jetzt hier irgend so ein Popanz aufgebaut«, protestierte Weller.
»Na klar. Nimm du nur deinen alten Kumpel in Schutz. Das ist jetzt richtig unprofessionell von dir, weißt du das?«
Rupert blähte seinen Brustkorb auf und griff sich in den Schritt.
»Er ist nicht mein bester Freund.«
»Ach! Hab ich bester Freund gesagt? Stell dich nicht so dämlich an. Ich kenne mindestens drei Kumpels, an deren Frauen er sich rangemacht hat. Der große Frauenversteher. Er malt und vernascht sie. Und ich wette zwei Monatsgehälter, dass er sie danach mit den Bildern erpresst. Sie oder ihre Männer oder ihre Exmänner oder – ach.« Rupert war schon an der Tür.
»Hey, hey, was hast du vor?«
»Ich geh zu Ubbo Heide. Entweder wir haben hier in zwanzig Minuten ein Mobiles Einsatzkommando und stürmen die Bude, oder ich hole ihn mir persönlich.«
»Und dazu brauchst du zwei Magazine, oder was?«
In Anspielung auf Meulings peinliche Flucht prophezeite Rupert großmäulig: »Mir entwischt er jedenfalls nicht.«
Weller wollte Rupert folgen. Rupert drehte sich im Flur um, deutete mit beiden Zeigefingern auf Weller und verlangte: »Ich schlage vor, du bleibst hier. Du bist in der Sache befangen.«
Weller schüttelte den Kopf. »Ich denke gar nicht daran. Wir sind weder verwandt noch verschwägert. Wir sind lediglich zusammen zur Schule gegangen. Ich kann ihn zur Vernunft bringen, bevor hier irgendein Unglück passiert!«
Die Nacktheit fiel Ann Kathrin gar nicht schwer. Innerlich war sie bereit, Heiner Zimmermann an die Wand zu klatschen,
wenn er auch nur versuchen würde, ihr zu nahe zu treten oder es wagte, eine einzige frivole Bemerkung zu machen. Aber er benahm sich wie der vollkommene Gentleman.
Er bat sie, andere Posen einzunehmen, und riet ihr auszuprobieren, wie sie sich am wohlsten fühlte. Es ging dabei nur um kleine Veränderungen.
»Versuch, die Knie nicht durchzudrücken, Ann Kathrin. Ja. So. Mit durchgedrückten Knien kriegen deine Lippen so einen harten Zug.«
»Was haben meine Lippen mit meinen Knien zu tun?«
Er zog einen Spiegel im Goldrahmen heran. Er war gut zwei Meter hoch und mindestens einen Meter zwanzig breit. Zimmermann ließ den Spiegel so stehen, dass sie sich selbst darin sehen konnte. Zwar aus einer anderen Perspektive als er, doch sie sah sofort, er hatte recht. Wenn sie die Knie durchdrückte, wurden ihre Lippen schmal und bekamen
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