OstfriesenKiller
sich der Ruf aufbaute, trat er von einem Fuß auf den anderen und sagte: »Du musst das verstehen, Ann. Ich kann dich dabei nicht mitnehmen. Du bist suspendiert. Du dürftest gar nicht hier sein.«
»Bitte, Weller. Tu mir das nicht an. Diesmal werd ich es nicht verpatzen. Ganz bestimmt nicht.«
»Wenn’s nach mir ginge, gerne. Aber …«
»Ich hab einen Zugang zu ihr. Mehr als ihr alle.«
Da musste Weller ihr recht geben.
Der Regen ließ nicht nach. Es war stockdunkel. Pia fiel zum vierten Mal in den Matsch. Sylvia trieb sie weiter.
»Bitte. Ich kann nicht mehr«, flehte Pia. »Es ist kalt und nass.«
»Ich weiß.«
Pia zeigte auf die Lichter in den fernen Häusern. »Können wir nicht irgendwo einen Tee trinken gehen, uns ein bisschen aufwärmen und dann machen wir weiter? Ich lauf dir auch nicht weg. Ganz bestimmt nicht.«
Sylvia lachte und tippte sich gegen die Stirn. »Ich bin nicht blöd, Pia. Ich weiß doch, was du vorhast. Sobald wir in der Nähe von Menschen sind, wirst du um Hilfe rufen und mich ausliefern.«
»Nein, wirklich nicht! Ich will mich nur ein bisschen aufwärmen. Ich kann nicht mehr. Das musst du doch verstehen. Ich werde Mutter.«
Plötzlich bekam Sylvia schmale Lippen. Sie stieß den Gewehrlauf gegen Pias Bauch. »Wohnen da hinten deine Leute? Ist es das? Willst du mich in die Höhle des Löwen führen? Meinetwegen. Lass uns hingehen. Dann knall ich die auch ab. Je weniger es von euch gibt, umso sicherer ist die Welt!«
Sie waren alle da. Staatsanwalt Scherer, Kriminaloberrat Ubbo Heide, Rupert, Rieke Gersema und ein halbes Dutzend Kollegen aus Emden, die Ann Kathrin nur von Lehrgängen kannte.
»Diese Wahnsinnige kann nur zu Fuß geflohen sein, oder sie hat ein Auto geknackt und zwingt Frau Herrstein, durch die Gegend zu fahren«, stellte Ubbo Heide trocken fest.
»Sie ist nicht wahnsinnig«, sagte Ann Kathrin. »Sie ist geistig behindert. Das ist etwas völlig anderes. Sie ist gutgläubig. Distanzlos. Denkt in Kategorien von Gut und Böse. Sie kennt nur wenig Zwischentöne. Hell oder Dunkel. Schwarz oder Weiß. Aber sie ist nicht wahnsinnig. Man hat sie fürchterlich belogen und ausgenutzt. Sie glaubt, sie sei im Recht.«
Ubbo Heide verzog den Mund: »Glaubt das nicht jeder von sich?«
»Was machen Sie überhaupt noch hier?«, fragte Staatsanwalt Scherer. »Ich denke, Sie sind vom Dienst suspendiert.«
Weller holte zu einer Geste aus, um sich für Ann Kathrin einzusetzen. Aber das war nicht nötig, denn Ubbo Heide zeigte auf Ann Kathrin und bellte: »Betrachte dich im Augenblick als in unser Team aufgenommen. Aber keine Sonderaktionen! Du wirst nichts ohne Absprache machen und uns lediglich dein Wissen zur Verfügung stellen. Ist das klar?«
Ann Kathrin nickte dankbar.
Gleich kam die Anschlussfrage von Heide, die jeder erwartet hatte: »Hast du eine Ahnung, wo die beiden sind?«
»Ich habe eine Idee.« Ann Kathrin sah in die entschlossenen Gesichter ihrer Kollegen, und plötzlich hatte sie ein komisches Gefühl im Magen. So als würde Sylvia die nächsten Stunden nicht überleben. Ann Kathrin fühlte sich auf eine merkwürdige Art verantwortlich für Sylvia. Sie sah nicht so sehr die Mörderin in ihr, sondern einen Menschen, dem selbst sehr viel Leid widerfahren war.
»Was ist, Frau Kollegin?«, scherzte der Staatsanwalt. »Wir sind hier nicht bei Günter Jauch in der Millionärsshow. Ihre Bedenkzeit ist um. Geben Sie uns Ihre Informationen, und zwar augenblicklich!«
Ann Kathrin fand diesen Menschen unangenehm. Aber sie konnte es sich jetzt nicht aussuchen. »Sie hat mir von ihren Pferden erzählt. Fabella, Udessa und Kadir. Und dass sie manchmal dorthin geht, wenn sie einsam ist, weil die ihr so schön zuhören, wenn sie Probleme hat.«
Rupert grinste. »Na, wie rührend. Dürften wir auch noch erfahren, wo sich die Pferde befinden?«
Ann Kathrin zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Aber ihre Freundin Tamara Pawlow oder Rainer Kohlhammer wissen es bestimmt.«
Zusammengekauert saß Pia im Stroh. Ihre schwarze Jeans glänzte zwischen den Beinen. Sie hatte sich aus Angst in die Hose gemacht. Sie raffte Stroh zusammen und drückte es sich vor den Bauch, als könne sie sich und ihr Kind damit schützen.
Sylvia stand zwischen Fabella und Kadir und kuschelte ihren Kopf an den Hals von Fabella. Dabei ließ sie das Gewehr nicht los. Sie bewegte sich so natürlich damit, als sei es ein Teil ihrer selbst. Wie angewachsen.
»Fabella war Papas
Weitere Kostenlose Bücher