OstfriesenKiller
sich aus dem Sessel. Als Sylvia Kleine im Spiegel erkannte, dass Ann Kathrin Klaasen gehen wollte, lief sie zu ihr hin und hielt sie fest. »Och bitte, bleib doch noch.«
»Das geht nicht, ich, äh, ich muss jetzt ins Fitnessstudio.«
Sylvia lehnte sich an Ann Kathrins Schulter an wie ein kleines Kind. »Bitte nimm mich mit.«
Ann Kathrin dachte an die Worte ihres Vaters:
»Wenn ein Zeuge einmal redet, unterbrich ihn nicht, solange du spürst, dass er authentisch ist. Die ungeheuerlichsten Aussagen sind manchmal im alltäglichen Mist verpackt. Die meisten Menschen haben ein Redebedürfnis. Lass sie kommen. So habe ich viele Fälle gelöst
.«
Vielleicht war dies genau so eine Situation. Vielleicht war sie hier ganz nah an der Lösung des Falles. Vielleicht drehte sich ja alles um diese junge Frau.
Ann Kathrin sah Sylvia an. Die hüpfte voller Vorfreude mehrfach in die Luft und rief: »Bitte, bitte, ich will mit!« Dabei klatschte sie in die Hände.
»O. k. Meinetwegen. Warum nicht.«
Sofort zog Sylvia sich den Rock wieder an.
»Ich muss nur noch eben meine Katze füttern!«, rief Sylvia. »Willi! Willi!« Sie verschwand aus dem Raum.
Weller konnte es kaum glauben. »Nimmst du sie wirklich mit ins Fitnessstudio?«
Ann Kathrin zuckte mit den Schultern. »Wieso nicht?«
»Du kannst sie nicht vernehmen wie eine normale Zeugin, Ann. Wäre hier nicht ein Psychologe angebracht?«
»Ich glaube, sie mag mich, und sie will mir was erzählen.«
»Zweifellos will sie das«, sagte Weller kritisch, »aber glaubst du denn, sie ist als Zeugin ergiebig? Das hier bringt doch überhaupt nichts.«
Ann Kathrin sah sich im Raum um. »Was glaubst du, wie viele Millionen sie schwer ist? Zwei? Drei?«
Weller musste ihr recht geben. »Auf jeden Fall genug, um einen Mord zu begehen.«
Er sah zur Tür, um sicherzustellen, dass sie auch nicht belauscht wurden. Von Tim Gerlach keine Spur. »Wenn es dem Bengel gelingt, sie zu heiraten und er die Vermögensfürsorge kriegt, kann er mit dem Geld machen, was er will.«
»Ja«, nickte Ann Kathrin, »und dabei war ihm nur Ulf Speicher im Weg.«
»Sollen wir ihn mitnehmen?«
Ann Kathrin schüttelte den Kopf. »Das nimmt uns jeder Haftrichter auseinander. Wir brauchen handfeste Beweise.«
Schon hopste Sylvia in den Raum zurück. Sie brachte eine Duftwolke von frisch geöffnetem Katzenfutter mit. »Ich habe meine Sportsachen schon eingepackt!«, rief sie. Dann fragte sie Weller: »Kommst du auch mit?«
Der schüttelte den Kopf und sah seine Kollegin an.
»Wenn du willst, komm ruhig«, sagte Ann Kathrin mit einer einladenden Geste.
»Nee, lass mal. Ich hatte eigentlich vor, dich zum Essen einzuladen.«
Sie staunte. »Du mich?«
»Ja. Ich wollte für uns kochen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst, Weller.«
»Ich kann einige Sachen, die dich verblüffen würden.«
Ann Kathrin sah schon Sylvias enttäuschtes Gesicht. Sie schüttelte den Kopf: »Vor dem Training esse ich nicht gerne. Das macht viel zu schwer.«
Weller winkte ab.
»Schon gut. Weißt du, was ich jetzt mache?«
Ann Kathrin sah ihn fragend an.
»Fängt mit F an und hört mit Eierabend auf.«
Sylvia verstand nicht, was er meinte, und Ann Kathrin fand den Witz nicht gut.
Sylvia hakte sich bei Ann Kathrin unter. »Komm, lass uns gehen.«
Ann Kathrin hatte das Gefühl, dieses Mädchen beschützen zu müssen. Sie kam ihr so zerbrechlich vor. Wie ein Kleinkind, das fröhlich in einem Haifischbecken planschte, ohne zu merken, dass die Bestien es bereits umkreisten.
Als Weller bei sich zu Hause die Tür aufschloss, kam Ludwig Bongart mit dem Rad gerade um die Ecke. Er hatte eine Kiste mit Lebensmitteln auf dem Gepäckträger.
Ludwig stöhnte schon von weitem: »Sie wohnen ja echt am Arsch der Welt, äi! Ich bin fast vierzig Minuten mit dem Rad gefahren!«
»Oh, danke. Sie haben die Lebensmittel für mich eingekauft.«
»Ja, ich hab ja sonst nichts zu tun. Ich bin ja bloß Zivi!«
Weller bat den jungen Mann mit ins Haus. Er stellte die Kiste auf den Küchentisch.
Ludwig Bongart zählte auf: »Kirschtomaten, Limettensaft, frische Chilischoten, Mozzarella …«
Weller sah in das Kochbuch. »Da fehlen noch Schwarzkümmel, frischer Koriander und Feigen.«
»Klar«, fauchte Ludwig ihn an, »und ein großes, totes, schwarzes Pferd! Mensch, ich bin Zivi, kein Galeerensklave! Was glauben Sie, wo wir mit unseren Klienten einkaufen? Im Feinkostladen?«
Weller schüttelte den Kopf. »Und wie soll ich
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