OstfriesenKiller
anfassen. Der ist misstrauisch.«
Ann Kathrin sah die schöne junge Frau mit der heftigen erotischen Ausstrahlung vor sich, hatte aber das Gefühl, mit einem Kind zu sprechen.
»Ich komme, weil … vielleicht wissen Sie es ja schon. Ulf Speicher ist erschossen worden.«
Sylvia wendete Ann Kathrin den Rücken zu, nahm einen Pfannenwender und hob die ersten Lebkuchen vom Blech. Betont erwachsen sagte sie: »Das weiß doch jeder. Die Jutta hat mich angerufen, und der Tim hat es auch erzählt.«
Sie drehte sich zu Ann Kathrin um und bot ihr einen Lebkuchen an: »Willst du mal probieren? Die sind noch heiß!«
Ann Kathrin nahm ein Lebkuchenherz und einen Tannenbaum und pustete. »Hmmm. Die riechen köstlich.«
Sylvia Kleine freute sich über das Lob. »Das hat meine Oma mir beigebracht. Die konnte auch Christstollen backen.«
Sie machte eine Geste, um zu zeigen, wie toll die Christstollen gewesen waren, und leckte sich über die Lippen.
Weller erschien mit Tim Gerlach in der Küche. »Guck mal, wen wir hier haben, Ann.«
»Der Tim wohnt ein bisschen bei mir. Der hat Krach mit seinen Eltern«, sagte Sylvia und zog Tim zu sich, weg von Weller, als wolle sie ihn beschützen.
Tim Gerlach sah Weller triumphierend an, dann nahm er sich auch einen Lebkuchen. Er biss ein kleines Stück ab, warf den Rest wieder aufs Blech zurück und nörgelte in Richtung Sylvia: »Gibt’s denn nichts Richtiges?«
Sie sah ihn gleich schuldbewusst an und verhakte ihre Finger ineinander. Sie wirkte jetzt auf Ann Kathrin wie ein Schulkind, das die Hausaufgaben nicht gemacht hatte und nach einer Ausrede suchte. Plötzlich erhellte sich Sylvias Gesicht. Sie wollte alles großzügig regeln: »Wir können ja den Pizzaexpress anrufen«, schlug sie vor.
Tim nickte: »Meinetwegen.«
Wie selbstverständlich lud Sylvia alle ein. »Wollt ihr auch was? Die haben da ganz tolle Nudeln. Ich ess am liebsten Spaghetti aglio oglio.«
Ann Kathrin warf Weller einen Blick zu. Der kapierte sofort. Weller streckte die Hand nach Tim Gerlach aus. »Ich glaube, Herr Gerlach und ich unterhalten uns besser nebenan.«
Tim wehrte sich auf eine trotzige, maulende Art, aber damit hatte er wenig Erfolg. Weller schob ihn vor sich durch die Tür. »Du willst dich doch bestimmt gerne anziehen, nicht wahr?«
»Wohnen Sie hier ganz alleine?«, fragte Ann Kathrin.
Sylvia schüttelte den Kopf. »Nein, die Jutta betreut mich doch. Und dann kommt noch die Frau Cremer zweimal die Woche zum Aufräumen und so.«
»Ist das das Haus Ihrer Eltern?«
Sofort wurde Sylvia traurig. »Meine Eltern sind …« Sie scheute sich, es zu sagen, presste die Lippen fest aufeinander und verzog die Mundwinkel. Sie setzte sich und drückte die Knie gegeneinander.
»Sind sie tot?«, fragte Ann Kathrin.
Sylvia nickte. Dann sprang sie auf. Als würde sie von einem Bewusstseinszustand in einen anderen wechseln, war sie mit einem Schlag wieder fröhlich. Sie breitete die Arme aus und drehte sich. »Das hier gehörte meinem Opa und meiner Oma. Das ganze Haus und alles. Die waren sehr lieb. Jetzt gehört alles mir. Das hier und ein paar Häuser, eine Metzgerei … Aber da geh ich nie hin. Weil, ich bin doch …«
Ann Kathrin konnte sehen, wie Sylvia versuchte, sich an das Wort Vegetarier zu erinnern und es richtig auszusprechen. Es gelang ihr aber nicht. Dann tat sie, als müsse sie sich übergeben und lachte: »Also, ich ess kein Fleisch.«
Sylvias Gesichtsausdruck veränderte sich wieder. Sie wirkte jetzt geheimnistuerisch und winkte Ann Kathrin näher zu sich heran: »Wenn du von der Polizei bist, kannst du mir dann nicht helfen?«
»Brauchen Sie denn Hilfe?«
»Und wie. Ich bin … also, ich will nicht mehr vom Regenbogen betreut werden. Und von der Jutta schon gar nicht.«
»Warum denn nicht?«
»Die wollen den Tim hier rausschmeißen. Ich soll auch nicht mehr hier wohnen. Das ist aber mein Haus und mein Geld.« Jetzt wurde sie laut. »In der Bank hat die Jutta gesagt, sie sollen mir kein Geld mehr geben. Boah, äi, das ist so gemein, so gemein! Das ist doch mein Geld! Ich kann damit machen, was ich will!«
Tim Gerlach zog sich im Gästezimmer an. Weller sah ihm dabei zu.
Auf dem Bett lagen Schulbücher. Offensichtlich hatte Tim eine Sporttasche mitgebracht. Darin lagen seine Sachen. Aber direkt daneben eine neue Jeans, eine Lederjacke. Alles Markenklamotten, teilweise noch mit Preisschildern dran. In einer Ecke lagen Tims alte Turnschuhe. Mit denen musste er gekommen sein. Sie
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