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OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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hoffte, dass der Kanzler die Namen der Toten verlesen würde, um sie zu ehren. Die Leichen waren noch nicht freigegeben. Trotzdem war dies hier so etwas wie eine gigantische Vor-Beerdigungsfeier.
     
    Ann Kathrin Klaasen wusste noch nichts von dem ermordeten Josef de Vries. Die Nachricht landete früher auf der Rednertribüne als bei ihr. Caro Schmidt hatte eine SMS an ihre Freundin Annelen Seck geschickt, die Praktikantin im Regenbogen-Verein war, und Annelen leitete die SMS an jede Telefonnummer weiter, die in ihrem Handy gespeichert war.
    Sie hatte ein gutes Verhältnis zu Pia Herrstein. Sie waren zusammen aufs Gymnasium gegangen. Als Pias Handy piepste, ahnte sie Schreckliches. Sie schlief ohnehin seit der Ermordung Ulf Speichers nicht mehr gut. In welche Welt hinein gebar sie ihr Baby? Die Morde hatten sie existentiell erschüttert. Es schien ihr, dass seit dem Tod von Ulf Speicher ihr Kind nicht mehr so wichtig für Ludwig war. Es ging schon früher hauptsächlich um den Regenbogen-Verein, aber seit den Morden gab es gar kein anderes Thema mehr. Einen Augenblick glaubte sie, ohnmächtig zu werden. Sie schloss die Augen, und dann sah sie ihren Freund Ludwig vor sich, von Flammen eingeschlossen. Sterbend reckte er die Hand nach ihr und schrie ihren Namen. Sie riss die Augen auf und brauchte einen Moment, um zu registrieren, dass es nur ein inneres Bild gewesen war, nicht die Wirklichkeit.
    Sie zupfte Ludwig am Ärmel und zog ihn weg vom Ministerpräsidenten und vom Kanzler.
    Ludwig war einen Augenblick sauer auf Pia. Wie konnte sie ihn jetzt hier wegziehen? Dies war einer der Höhepunkte seines Lebens. Er auf der Bühne mit dem Ministerpräsidenten und dem Kanzler. Da unten standen vielleicht zehntausend Menschen, die ihm zuhören wollten. Sämtliche Fernsehsender hatten ihre Kameras aufgebaut. Gönnte sie ihm diesen Sieg nicht? Musste sie sich jetzt mit irgendeinem Wehwehchen in den Vordergrund spielen? Sie sah aus, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.
    »Lass uns hier abhauen, Ludwig. Sofort.«
    »Pia, ich bitte dich. Ich kann doch jetzt nicht hier weg! …«
    »Ludwig. Bitte. Hör nur dieses eine Mal auf mich. Es reicht. Ich will nicht mehr. Lass uns von hier verschwinden.«
    Sie versuchte, ihn von der Tribüne zu zerren.
    »Beruhig dich doch, Pia!«
    »Ich soll mich beruhigen? Sie haben gerade Josef gefunden. In seiner Wohnung. Tot. Und du wirst der Nächste sein! Ich bin schwanger! Schon vergessen? Glaubst du, ich will meinem Kind später mal erzählen, wie heldenhaft sein Vater gestorben ist? Lass uns abhauen, Ludwig. Lass uns abhauen, solange es noch nicht zu spät ist!«
    Ludwig versuchte, Pia festzuhalten. »Ja, Pia, was verlangst du da? Soll ich untertauchen, oder was?«
    Pia nickte heftig. »Ja. Genau das. Untertauchen. Oder willst du der Nächste sein? Das Schwein macht doch weiter, das ist dir doch wohl klar!«
    »Pia, bitte! Wenn wir jetzt aufgeben, tun wir genau das, was die wollen. Dann haben die gewonnen.«
    Pia legte beide Hände auf ihren Bauch. »Bedeutet dir das gar nichts?«
    Ludwig schluckte. Der sonst so redegewandte junge Mann wusste nichts zu sagen. Er überlegte. Er schaute zurück, sah den Kanzler an. Noch war der Kanzler gesprächsbereit. Er hatte jetzt wirklich keine Lust, sich um Pia zu kümmern. Ja, er liebte sie, und er wollte gerne Vater sein. Aber man musste Prioritäten setzen. Jetzt und hier war etwas anderes wichtig.
    »Pia, bitte. Hab doch Verständnis. Ich …«
    »Dann geh doch!«, schrie sie. »Geh doch! Dann zieh ich mein Kind eben alleine groß! Der Verein ist dir ja sowieso schon immer wichtiger gewesen als ich! Ich will nicht mehr! Mir reicht es!«
    Sie versuchte, sich durch die Menschenmenge hindurchzudrängeln. Ludwig versuchte, Pia zurückzuhalten. Doch diese zuckte zurück, als hätte sie durch seine Berührung einen elektrischen Schlag bekommen.
    Sie wehrte ihn ab: »Lass mich in Ruhe! Fass mich nicht an! Wenn dir das hier alles so viel wichtiger ist als ich, will ich dir nicht länger im Weg sein!«
    Pia arbeitete sich weiter durch die Menge. Sie war noch keine zwei Meter von ihm weg, war aber schon nicht mehr zu sehen. Er sprang hoch und schrie über die Köpfe hinweg: »Pia! Pia!« Er wollte schon aufgeben, als sie plötzlich neben ihm stand und ihm um den Hals fiel. Sie drückten sich und hielten sich stumm fest.
    Wie konnte Ludwig Bongart ahnen, dass schon am nächsten Abend eine Kugel auf ihn abgefeuert werden würde. Eine Kugel, die aus der

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