OstfriesenKiller
gleichen Waffe stammte, die auch Ulf Speicher getötet hatte.
Oben auf der Rednertribüne war eine vier mal sechs Meter große Leinwand angebracht, auf der die Gesichter der Redner erschienen.
Als Ludwig seine Rede hielt, stand Pia hinter ihm. Sie drückte ihren Bauch gegen seinen Rücken, und ihre Hände umschlangen seine Brust von hinten. Es war ein anrührendes, ein erschütterndes Bild für die Fernsehzuschauer. Jede Kamera versuchte, das Gesicht der schwangeren Frau einzufangen, die sich hinter dem jungen Helden halb versteckte, ihn aber gleichzeitig auch von hinten stützte und schützte.
Seine Rede fiel längst nicht so scharf und aggressiv aus wie geplant. Das kurze Gespräch mit dem Kanzler, die Anwesenheit der Mächtigen, das alles hatte ihn versöhnlicher gestimmt. Ja, man könnte sagen, milde. Und jetzt, da Pia hinter ihm stand und er sein Baby spürte, wollte er kein Ankläger mehr sein, sondern mehr ein Friedensstifter. Eine integrative Figur.
Sogar der Ministerpräsident und der Kanzler spendeten ihm Beifall. Wären sie nicht persönlich in Aurich erschienen, hätten sie sich nicht so freundlich und jovial gezeigt, wären sie hier und jetzt von ihm an den Pranger gestellt worden. Aber es war leichter, Menschen anzupöbeln, die man nur aus der Zeitung kannte, als diese real existierenden Personen, die ihm soeben die Hand geschüttelt hatten.
»Du machst das gut«, sagte Pia von hinten immer wieder, »du machst das gut.«
Tief in sich drin spürte Ludwig, dass heute, in dieser Stunde, sich sein Leben für immer verändert hatte. Er hatte jetzt, mit dieser Rede, den Grundstein für eine neue Karriere gelegt. Er war zu einer moralischen Instanz geworden.
Sylvia sah oben auf der Leinwand überlebensgroß das Gesicht von Pia, wie sie sich an Ludwig drückte und wie die zwei sich vor aller Welt als Liebespaar präsentierten. Noch nie hatte sie gespürt, dass Eifersucht so weh tun konnte.
Ludwig genoss den Blick in die Menge. Er sog die Momente förmlich in sich auf. Das war heute ein historischer Tag, und er war Teil des Ganzen. Nichts würde danach mehr sein wie vorher. Nicht in Ostfriesland. Nicht im Regenbogen-Verein. Nicht für die Behinderten und erst recht nicht für ihn.
Und dann sah er sie: Sylvia. Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sie konnte ihm jederzeit die Glaubwürdigkeit nehmen. Niemand wusste davon. Niemand im Verein und natürlich auch Pia nicht.
Er konnte von Sylvia bekommen, was er wollte. Aber er hatte nur die zwei Bilder genommen. Für sie waren es ohnehin alte Schinken gewesen. Langweiliges Zeug von Opa. Er hatte ihr dafür Poster geschenkt und den Nolde und den Miro für vierzigtausend Euro an einen Hamburger Kunsthändler verkauft.
Niemandem war etwas aufgefallen. Die Bilder gehörten nicht zum registrierten Vermögen. Genauso wenig wie die Briefmarkensammlung, die Münzsammlung, das Silberbesteck und die Diamantringe von Oma. Das alles zusammen könnte gut noch mal zwanzigtausend bringen. Falls Tim nicht schon darauf gekommen war, es zu verkaufen.
Ludwig würde jedenfalls nichts mehr davon anfassen. Er hätte auch das mit den Bildern am liebsten ungeschehen gemacht.
»Wir müssen sauber sein«, hatte Ulf Speicher immer gepredigt. »Ich verlange kein Armutsgelübde von euch, Leute, aber wer reich werden will, sucht sich besser einen anderen Job.«
Gegen diesen Grundsatz hatte Ludwig verstoßen. Aber er wollte das Kind, und er war mittellos. Er musste eine Wohnung einrichten. Eine Existenz gründen. Diese Bilder hingen völlig unbeachtet herum. Den Nolde hatte Sylvie sogar hinters Sofa gestellt, weil ihr das Bild zu düster war. Stattdessen hatte sie Pferdefotos aufgehängt.
Sylvie wusste nicht, wie viel die Bilder wert waren, aber sie hatte ihn damit in der Hand. So, wie sie ihn jetzt ansah, war sie bereit, ihn zu vernichten, wenn sie ihn nicht haben konnte.
Ludwig hatte bisher immer noch gute Geschichten erfunden, um sie hinzuhalten. Er hatte ihr erzählt, Pia sei gar nicht seine Freundin, sondern seine Mitarbeiterin. Aber das dürfe niemand wissen, denn er sei ein Geheimagent. Terroristenjäger. Zur Tarnung würden sie so tun, als ob sie ein Pärchen wären.
Sylvia hatte die Geschichte geglaubt. Sie glaubte immer alles, was Männer ihr vorlogen, besonders wenn sie verliebt war. Eine Weile hatte er ihre Eifersucht mit der Geschichte in Grenzen halten können. Aber Pias Schwangerschaft veränderte alles.
Ludwig sah es Sylvia an: Sie glaubte ihm
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