Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Ann, ich glaube, das ist Unfug. Schwindelhausen wird jetzt mit einer halben Armee im Muschelweg aufkreuzen. Da stören wir nur, kriegen Probleme, uns durchzusetzen, und müssen bei der Befragung der Zeugen Schlange stehen.«
Sie lehnte ihren Kopf an ihn und ließ es sich gefallen, dass er seine Hand in ihren Nacken legte und sie sanft an sich drückte. Sie hatten sich eigentlich darauf geeinigt, innerhalb der Polizeiinspektion und während des Dienstes solchen Austausch von Zärtlichkeiten und Liebesbekundungen zu unterlassen, um den Kollegen kein Schauspiel zu bieten und stattdessen ganz in der Professionalität zu bleiben, doch dies hier war anders. Sie brauchte das gerade, ja, sie brauchte es sehr, liebevoll gehalten zu werden.
»Ich war ganz schrecklich, Frank.«
»Nein«, lobte er sie. »Du hast ihn richtig hart rangenommen und die Ziege vorgeführt. Ich bin gekommen, um zu sehen, wie du ihn grillst, und das hast du gemacht.«
»Nein, das habe ich nicht getan. Ich war nicht allein mit denen im Raum. Es war, als wäre meine Mutter mit dabei. Bedürftig und leidend. Ich fühlte mich plötzlich als hundsmiserable Tochter. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.«
»Ach komm, du hast diesem Charaktereunuchen ganz schön Feuer unterm Hintern gemacht, und seine Rechtsanwaltstussi wird heute Abend vor Wut ins Kopfkissen beißen.«
»Das ist lieb von dir, Frank, aber ich weiß, wann ich versagt habe. Besonders gelacht haben sie über die Knochen, die wir in seinem Garten bei der Feuerstelle gefunden haben. Angeblich Schweinerippchen vom Grillen.«
»Behaupten sie!«
»Ja, Frank, und ich fürchte, diesmal sagen die beiden sogar die Wahrheit. Vielleicht sind wir einfach zu fixiert darauf, ihn so schnell wie möglich hopp zu nehmen.«
Er hielt sie jetzt mit beiden Armen fest umschlungen. Sie wärmte sich an ihm, weil sie innerlich fror, obwohl die Raumtemperatur bei vierundzwanzig Grad lag.
»Fahr nach Hause und leg dich hin, Ann.«
»Aber wir können diese Fälle nicht einfach ruhen lassen.«
»Für die Kindesentführung ist das BKA zuständig, Ann, akzeptiere das einfach. Und im Fall Ötzi drängt keineswegs die Zeit. Die Täter laufen seit Jahren frei rum, da wird ein Tag auch nichts mehr ausmachen.«
»Nenn sie nicht Ötzi. Sie war ein lebender Mensch, Frank. Ihr Name ist Jule Freytag.«
Er versicherte ihr, das nie wieder zu tun, und sie registrierte, dass er von mehreren Tätern ausging.
»Glaubst du«, fragte sie, »dass Kevin Becker und Larissa Kuhl ebenfalls zu den Opfern gehören?«
Arm in Arm wie ein Liebespärchen, das im Park spazieren geht, bewegten sie sich durch den Flur auf den Ausgang zu. Die hektische Betriebsamkeit um sie herum schien den beiden überhaupt nicht aufzufallen.
»Es würde mich nicht wundern«, sagte Weller, »wenn wir sie ebenfalls ausgestopft irgendwo finden. Vermutlich in einem Hochmoor.«
»Ja«, sagte sie, »das glaube ich auch.«
Sie verabschiedeten sich mit einem Kuss voneinander. Dann fuhr Ann Kathrin nach Norden in die Ubbo-Emmius-Klinik, um mit ihrer Mutter gemeinsam Volkslieder und alte Schlager zu singen.
Die alte Dame begrüßte Ann Kathrin mit den Worten: »Uten Tag.«
Ann Kathrin blieb wie angewurzelt in der Tür stehen. Ihre Mutter strahlte sie fröhlich an. An ihrem Bett stand ein Pfleger, der sich später als Logopäde entpuppte.
Helga wollte noch mehr sagen, aber dann stotterte sie wieder, lallte, und es fiel ihr nicht ein. Sie machte aber eine große Geste, als hätte sie gerade etwas sehr Bedeutendes ausgedrückt, und der Logopäde, der Ann Kathrin von der Statur her ein bisschen an ihren Nachbarn, den Maurer Peter Grendel erinnerte, reichte ihr die Hand und sagte:
»Ihre Mutter hat den ganzen Tag geübt. Sie wollte Sie unbedingt richtig begrüßen können. Sie macht Fortschritte. Sie ist eine Kämpfernatur. Wenn sie so weiter arbeitet, können wir viele der Probleme, die der Schlaganfall ihr bereitet, rückgängig machen. Es gibt Patienten, die geben sich auf. Da kann man dann wenig tun. Ihre Mutter ist anders. Die will wieder ihre alten Fähigkeiten zurück.«
Helga saß im Bett und nickte. Sie verstand jedes Wort, und Tränen der Rührung rollten ihr übers Gesicht.
Schon war Ann Kathrin bei ihr und drückte sie.
Auf dem Schränkchen neben dem Bett stand eine kleine Blumenvase, darin eine einzelne, nicht mehr ganz frische Rose. Ein Blatt war abgefallen und lag auf der Resopalplatte.
»Du hattest Besuch? Wer hat dir die Blume
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