Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
ob ich Lust habe!«, rief Beate begeistert und erschrak dabei gleich über sich selbst. »Keine Angst, ich will dir nicht reinpfuschen. Ich habe ja den ersten Reiki-Grad noch gar nicht. Aber ich wäre froh, wenn ich einfach zusehen könnte. Vielleicht kann ich ihn dann ja irgendwie davon überzeugen.«
Sie verabredete sich mit Silke.
Der Kellner brachte einen Ouzo und räumte den leeren Teller ab. Beate konnte sich nicht daran erinnern, alles aufgegessen zu haben.
Die Männer am anderen Tisch tuschelten. Dann kam der mit dem Seehundschnauzer und dem gemütlichen Bierbauch rüber zu Beate. Ohne weitere Umschweife beugte er sich zu ihr und sagte: »Also, wenn Sie ein Versuchskaninchen suchen, mein Freund Heinz und ich stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
Als Benne zu Lucy in den Wohnwagen zurückkam, war er ganz anders. Lieb und verständnisvoll. Er hatte bei Grünhoff zwei Riesenstücke Käsekuchen mit Rosinen gekauft, die sie gemeinsam aßen. Er stellte Fragen nach Lucys Situation, und er hörte ihr zu.
Schon lange war kein Mensch mehr so gut zu ihr gewesen, fand sie. Tränen stiegen in ihr hoch. Waren Männer eben so? Hatten sie diese zwei Seiten? Musste man die eine ertragen, um die andere auch zu bekommen?
Sie war so verwirrt. Sie liebte ihn jetzt wieder so sehr, aber dann erklärte er ihr, dass sie zurück zu ihrer Mutter müsse.
Sie empörte sich: »Bist du wahnsinnig? Willst du mich loswerden oder was?«
Er streichelte über ihr Gesicht und küsste ihre Stirn. »Sei nicht albern. Aber deine Mutter braucht dich jetzt. Wenn dieser Arsch, auf den deine Mutter steht …«
»Thomas. Thomas Schacht.«
»Ja, genau, dieser idiotische Ina-Müller-Fan, wenn der sie nur abkochen will, wie du sagst, und die Kinder bei ihm sind, dann braucht deine Mutter deine Hilfe. Oh ja, sie braucht sie verdammt. Egal, ob sie es weiß oder nicht.«
»Aber meine Mutter will die Wahrheit nicht sehen. Sie vertraut dem mehr als mir.«
»Ja, sie braucht Hilfe. Sag ich doch.«
Lucys Nase lief. Sie riss ein Papiertaschentuch von der Küchenrolle ab und putzte sich die Nase.
»Aber weißt du, Benne, was ich nicht kapiere? Warum will er, dass ich die Geldübergabe mache?«
Benne machte ein belämmertes Gesicht. Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Vielleicht hat er einen Komplizen oder eine Komplizin.«
»Na und? Das erklärt doch gar nichts.«
»Oh doch, Lucy. Dir wird keiner glauben, wenn du sagst, dass er es war. Und dass du ihn bei der Geldübergabe erkannt hast.«
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Scheiße. Du hast recht.«
»Vielleicht ist sein Plan aber noch viel raffinierter, und er telefoniert im Beisein deiner Mutter mit dem Entführer …«
»Seinem Komplizen …«
»Genau. Und überredet den, dass er selber das Geld übergeben darf. Dann ist es ihm ein Leichtes, die Polizei abzuhängen, falls die im Spiel ist. Er muss das Geld ja gar nicht mehr vor den Augen der Bullen irgendwo abholen. Er hat es ja schon.«
Ihre Lunge pfiff. »Boah! Wie cool ist das denn? Das heißt, ich muss wirklich zurück, und dann übergebe ich das Geld.« Sie stockte. »Ja, aber wem ist damit geholfen, Benne?«
»Wir könnten es auch ganz anders machen, Lucy. Du haust mit der Kohle ab und bist endlich frei. Wir könnten dann zusammen nach Amsterdam. Ich kenne da eine WG auf einem Hausboot, da könnten wir untertauchen. Und in Lateinamerika, da kann man von Zweihunderttausend zehn Jahre lang in Saus und Braus leben. Wir könnten uns eine gemeinsame Existenz aufbauen. Wir hätten keine Sorgen. Wir könnten uns lieben und …«
Sie glaubte kaum, was sie da hörte. »Du meinst … wir hauen zusammen ab?«
Er grinste. »Du bist schon abgehauen, Lucy. Du hast deiner Mutter ein paar Euro geklaut und …«
Sie beendete seinen Satz: »und du meinst, da wäre es nur logisch, noch einmal reumütig zurückzukehren, um dann mit richtig viel Kohle für immer zu verschwinden?«
Er lächelte sie an. »Ich denke, du bist denen sowieso im Weg. Und da liebt dich doch keiner mehr so richtig, oder?«
Sie fand seine Idee erschreckend folgerichtig. Eins war ja wohl klar: So sehr hatte schon lange niemand mehr zu ihr gehalten.
Ja, dachte sie, endlich ist mal jemand voll und ganz auf meiner Seite.
Das tat ihr gut. Zu Hause ging es doch immer nur um die anderen. Um die Zwillinge, um Papas Sauferei und dass er nicht genug Unterhalt zahlte, oder um Thomas.
Jetzt war sie mal dran. Das spürte sie genau. Ihre Zeit war gekommen.
Ann Kathrin
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